Schweizerischer Föderalismus

  • Begriff und Wesen

    Die Wesensmerkmale des Schweizerischen Föderalismus erschliessen sich nicht nur über den verfassungsrechtlichen Rahmen der Staatsorganisation, sondern auch über die Geschichte der Eidgenossenschaft sowie über die gelebten Beziehungen zwischen den Staatsebenen und ihren Bürgern.

    «In der Schweiz wird der Föderalismus oftmals mit einem mehr oder weniger ausgeprägten <Kantönligeist> gleichgesetzt. Politik und Medien stellen die unterschiedlichen Regelungen etwa im Bereich der Kampfhunde, des Passivrauchens, der Gewerbepolizei oder der Schule gerne an den Pranger und sehen dabei den Föderalismus als Ausdruck eines Korsetts, das Effizienz und Weiterentwicklung verunmöglicht oder zumindest stark abbremst. Zwar führt die mit der heutigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen einhergehende Regelungsvielfalt mitunter zu Problemen. Es greift jedoch zu kurz, den Föderalismus mit der kantonalen Regelungshoheit in bestimmten Sachbereichen und der sich daraus ergebenden Rechtszersplitterung gleichzusetzen. Der Föderalismus geht vielmehr weit darüber hinaus. Es geht zum einen um ein Ordnungsprinzip, nach welchem eine politische Gemeinschaft oder eine Organisation in Körperschaften unterteilt wird, wobei Letztere substanzielle Autonomierechte erhalten (oder behalten) und am Willensbildungsprozess der entsprechenden politischen Gemeinschaft oder Organisation teilhaben. Im Staat findet dieses Ordnungsprinzip seine Verwirklichung in der Bundesstaatlichkeit als Staatsform; darüber hinaus kann es aber auch für internationale und supranationale Organisationen interessant und nützlich sein. In Bundesstaaten steht der Föderalismus zum andern aber auch als eine von den Bürgern und Institutionen gelebte Kultur (<föderale Kultur>).

    In der Schweiz geht die föderalistische Staatsform auf die Bundesverfassung von 1848 zurück, wobei die Grundlagen für die territoriale Grundordnung zu einem bedeutenden Teil bereits auf die Alte Eidgenossenschaft sowie die Mediationsakte von Napoleon (1803) zurückreichen. Obwohl die Bundesverfassung weder den Föderalismus erwähnt noch vom Bundesstaat spricht, handelt es sich hierbei um eine staatspolitische Maxime, ein tragendes Strukturprinzip, das der Verfas­sungsordnung gewissermassen als Fundament zu Grunde liegt, wobei sich der Inhalt dieses Fundaments aus der Gesamtheit der Verfassungs­bestimmungen, welche die staatliche Ordnung und Gliederung regeln, sowie der darauf gestützten Rechtsordnung erschliesst. Zusammen mit der Rechts­staatlichkeit, der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit gehört der Föde­ralismus zu den konstitutiven Grundpfeilern der schweizerischen Staatsordnung.» (aus: Bernhard Waldmann, Föderalismus unter Druck, Eine Skizze von Problemfeldern und Herausforderungen für den Föderalismus in der Schweiz, in: Gredig u.a. (Hrsg.), Peters Dreiblatt, Festschrift für Peter Hänni zum 60. Geburtstag, Bern 2010, S. 3 ff.).

    «Die Begriffe Föderalismus und Bundesstaat sind heute untrennbar miteinander verbunden. Dabei wird der bundesstaatliche Aufbau aber allzu leicht als selbstverständlich hingenommen, da man sich heute für die Schweiz keinen anderen Staatsaufbau mehr vorstellen kann. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Der schweizerische Bundesstaat mit all seinen Eigenheiten, wie er heute existiert, ist kein theoretisches, von Staatsrechtlern geschaffenes System, sondern das Ergebnis einer zweihundertjährigen Entwicklung mit einem dauernden Hin und Her zwischen Staatenbund und Einheitsstaat, mit Auseinandersetzungen zwischen Föderalisten und Zentralisten, zwischen Konservativen und Liberalen, zwischen Katholiken und Protestanten. Aus diesen Auseinandersetzungen ist der schweizerische Bundesstaat in seiner spezifischen Ausprägung gewachsen. Insbesondere ist die Stellung der Kantone innerhalb des Bundesstaates Schweiz nicht unabhängig von ihrer Entstehung zu betrachten. Sie baut nämlich nicht auf Staatstheorien auf, sondern auf der Entwicklung von unabhängigen Kleinstaaten hin zu einem funktionierenden, modernen Staat. Nur im Bewusstsein um die Umstände dieser Entwicklung kann die Stellung der Kantone im Bundesstaat vollumfänglich erfasst werden.» (aus: Ursula Abderhalden, Die Geschichte des schweizerischen Bundesstaates, in: Peter Hänni (Hrsg.), Schweizerischer Föderalismus und europäische Integration, Zürich 2000, S. 5).

    Die Bundesstaatlichkeit schweizerischer Prägung zeichnet sich insbesondere durch folgende charakteristischen Merkmale aus (in Anlehnung an Belser/Waldmann/Wiederkehr, a.a.O., Kap. 6, Rz. 11):

    • Dreistufiger Staatsaufbau, wobei die dritte, kommunale Ebene lediglich nach Massgabe des kantonalen (Verfassungs-)Rechts besteht (3. Titel der Bundesverfassung, insbesondere Art. 50 BV);
    • Staatlichkeit der Kantone (Art. 1, 3 und 51 BV);
    • Weitgehende Eigenständigkeit (Aufgaben-, Organisations-, Finanz-, Kooperations- und Vollzugsautonomie) der Kantone (vgl. Art. 46 Abs. 3, 47, 48 Abs. 1 BV);
    • Garantie des Bundes für den Bestand und das Gebiet sowie die verfassungsmässige Ordnung jedes einzelnen Kantons (Art. 1 und 52 f. BV);
    • Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen nach dem Grundsatz des Verfassungsvorbehalts für neue Bundeszuständigkeiten (Art. 42 BV) und der subsidiären Generalkompetenz der Kantone (Art. 3 BV);
    • Umsetzung (Vollzug) der Bundesaufgaben durch die Kantone, sofern die Bundesverfassung oder das Bundesgesetz nichts anderes vorsehen (Art. 46 BV);
    • Mitwirkung der Kantone an der politischen Willensbildung des Bundes (Art. 45 BV), insbesondere durch Teilhabe an der verfassungsgebenden Gewalt (Art. 1, 140 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 142 Abs. 1 BV) sowie Partizipation an der Gesetzgebung (Art. 45, 141, 147, 150 und 160 BV) und an der Aussenpolitik (Art. 55 BV);
    • Rechtliche Gleichbehandlung der Kantone (mit punktuellen Ausnahmen) und Finanz- und Lastenausgleich (Art. 135 BV);
    • Solidarisches Zusammenwirken und gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Bund und Kantonen bzw. unter den Kantonen (Art. 44 BV: «bundesstaatliche Treuepflicht») sowie verstärkte Zusammenarbeit unter denselben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (Art. 48 BV).
  • Einschlägige Rechtsgrundlagen

    Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
    (SR 101)

    Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK) vom 22. Dezember 1999
    (SR 138.1)

    Bundesgesetz über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) vom 3. Oktober 2003
    (SR 613.2)

    Rahmenvereinbarung für die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich (Rahmenvereinbarung, IRV) vom 24. Juni 2005(Rahmenvereinbarung, IRV) 

  • Einschlägige Materialien und Berichte zum Föderalismus

    Botschaft des Bundesrats über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996
     BBl 1997 I 1

    Botschaft des Bundesrats zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 14. November 2001
     BBl 2002 2291

    Bericht des Bundesrates zu den Auswirkungen verschiedener europapolitischer Instrumente auf den Föderalismus in der Schweiz («Föderalismus-Bericht») vom 15. Juni 2007
     BBl 2007 5907 ff. 

    ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit
    Monitoringbericht Föderalismus 2017–2021 vom 18. August 2022

    ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit
    Monitoringbericht Föderalismus 2014–2016 vom 30. Juni 2017

    ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit
    Monitoringbericht Föderalismus 2011–2013 vom 20. Juni 2014

  • Einschlägige Literatur zum Schweizerischen Föderalismus

    Das Institut erstellt regelmässig eine Bibliografie zum Schweizerischen Föderalismus.

    Ausserdem verfasst es seit 2005 im Auftrag der ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit einen Bericht über Ergebnisse und Trends der Forschung zum Schweizerischen Föderalismus.

  • Kartographie des Schweizerischen Föderalismus

    ESEHA, Akronym in französischer Sprache für «Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Geschichte, Verwaltung», ist ein Verein, der 2013 von einer Gruppe von Forschern und Spezialisten der öffentlichen Verwaltung gegründet wurde.

    Der Verein setzt sich die wissenschaftliche Analyse der institutionellen Vielfalt auf schweizerischer und internationaler Ebene zum Ziel, insbesondere unter dem Blickwinkel des Föderalismus.

    Um seine Ziele erreichen zu können, unterhält der Verein CHStat.ch, eine Datenbank zu schweizerischen Kantonen und Gemeinden (ehemals badac.ch), den interaktiven Staatsatlas der Schweiz und das zweisprachige, deutsch-französische Portal www.eseha.ch.

    CHStat.ch

    interaktiver StaatsAtlas (AsTAT)

    ESEHA

  • Kant. Abstimmungen und Wahlen

    Das Institut für Föderalismus (IFF) informiert regelmässig über anstehende kantonale Abstimmungsvorlagen. Zu diesem Zweck gibt das IFF ungefähr eine Woche vor dem Abstimmungswochenende einen Newsletter heraus.

  • Eidg. Abstimmungen und Wahlen

    Die Website der Bundesbehörden bietet Zugang zu den hängigen Volksinitiativen und Referendumsvorlagen sowie zu den kommenden Volksabstimmungen und Nationalratswahlen.

    hängige Volksinitiativen

    Referendumsvorlagen

    Volksabstimmungen

    Nationalratswahlen