«Die Konfrontation mit der EU können wir uns leisten»

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Rahmenabkommen«Die Konfrontation mit der EU können wir uns leisten»

Der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger ist gegen das Rahmenabkommen. Es führe zu mehr Zuwanderung, warnt er.

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Der Bundesrat hat am Freitag das Verhandlungsergebnis zum Rahmenabkommen mit der EU veröffentlicht. Der Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger von der Universität Freiburg erklärt, warum er dagegen ist.

Herr Eichenberger, das Rahmenabkommen ist tot. Einverstanden?

Eher nein. Wenn sich die Kräfte, die bisher die Europapolitik geprägt haben, zusammenraufen, hat das Abkommen eine Chance.

Braucht die Schweiz das Abkommen?

Ich würde es nicht unterschreiben. Es würde die Personenfreizügigkeit (PFZ) noch fester betonieren. Sie aber bringt riesige Probleme.

Wieso?

Sie bringt uns über Zuwanderung ein viel zu hohes Bevölkerungswachstum. So müssen etwa die Schulen, Strassen und der ÖV schnell ausgebaut werden, und die Umwelt- und Energiepolitik wird viel teurer. Zudem steigen die Mieten und Bodenpreise.

Von der Zuwanderung profitieren aber viele.

Insgesamt wachsen die Kosten schneller als die Bevölkerung. Für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer bringt die Zuwanderung nichts, sein Verdienst wird davon nicht grösser. Aber seine Ausgaben steigen. Die Profiteure der Zuwanderung sind die Manager in abgeschotteten Branchen, etwa dem Detailhandel oder Banken. Ohne die geschenkten Umsatzprozente dank Bevölkerungswachstum wären ihre Boni kleiner gewesen.

Die EU will den bilateralen Weg nicht weitergehen. Ohne Rahmenabkommen bliebe der Schweiz noch der Beitritt – oder der Rückzug aus Europa.

Die Schweiz soll weder der EU noch dem EWR beitreten. Dann müssten wir deren Regeln betreffend Freizügigkeit übernehmen.

Wie sähe denn Ihre Lösung aus?

Wir müssen mit der EU eine Lösung finden, wie wir Zuwanderung besteuern können. Einen Teil dieser Einnahmen könnten wir sogar der EU abtreten. Ich bin nicht gegen Zuwanderung, aber bisher haben wir das Problem, dass die Verlierer der Zuwanderung nicht kompensiert werden können. Wenn wir von Neuzuwanderern aus der EU und Drittländern während der ersten drei bis fünf Jahre eine Gebühr, ähnlich einer Kurtaxe, verlangen würden, würde die Zuwanderung automatisch zurückgehen und fruchtbar gelenkt.

So wollen Sie die negativen Effekte der Zuwanderung kompensieren. Die Linke hingegen setzt auf flankierende Massnahmen und den Lohnschutz.

Das Problem der PFZ ist nicht der Lohndruck, sondern eben die explodierenden Kosten aufgrund der Verknappung von Infrastruktur, Boden, Umweltqualität und so weiter. Die SP war bisher für die europäische Integration, weil sie im Gegenzug einen überregulierten Arbeitsmarkt erhalten hat. Die 8-Tage-Regel ist ein typisches Beispiel dafür. Sie verhindert Konkurrenz aus dem Ausland, deshalb konnten sich die Wirtschaft und die Gewerkschaften darauf einigen. Für den Lohnschutz braucht es sie nicht.

Wieso sollte die EU der Schweiz eine solche Besteuerungslösung zugestehen?

Fast alle Politiker und Diplomaten in der EU begreifen, dass ein Bevölkerungswachstum, wie es die Schweiz hat, auf Dauer nicht verkraftbar ist. Zudem hat die EU Grossbritannien bereits ein ähnliches Abkommen zugestanden, um es vom Brexit abzuhalten. Es hätte Neuzuwanderern die sonst üblichen Lohnzulagen streichen dürfen. Nun erhält es trotz Brexit weitgehenden Binnenmarktzugang ohne Personenfreizügigkeit. Wenn England mit einer viel tieferen Zuwanderung solche Lösungen erhält, hat auch die Schweiz gute Chancen. Ich bin sicher, dass die EU Verständnis hätte für eine solche Lösung, wenn man ihr einen Teil des Geldes anbieten würde.

Die Schweiz riskiert Gegenmassnahmen, wenn sie das Rahmenabkommen nicht unterzeichnet. Zudem sind neue Marktzugangsabkommen dann nicht möglich.

Der Bundesrat übertreibt, was die Bedeutung dieser Abkommen betrifft. Sie betreffen nur einen kleinen Teil des Marktes. Verglichen mit den Kosten der Freizügigkeit geht es um wenig. Wir sollten es bei den jetzigen Verträgen belassen und ehrlich die Kosten der Freizügigkeit untersuchen. Dann könnte man wieder auf die EU zugehen. Wir können uns eine Konfrontation mit ihr leisten.

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