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Mehr tun für die Kinder!

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Empirische Studien zeigen eindrücklich, wie gerade Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund und mit bildungsfernen Eltern von einem frühen Kitabesuch profitieren. Doch gerade sozial benachteiligte Kinder sind in deutschen Kitas eklatant unterrepräsentiert.
Empirische Studien zeigen eindrücklich, wie gerade Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund und mit bildungsfernen Eltern von einem frühen Kitabesuch profitieren. Doch gerade sozial benachteiligte Kinder sind in deutschen Kitas eklatant unterrepräsentiert. © Axel Heimken/dpa

Fehlendes Personal ist ein Grund für den Mangel an Kitaplätzen. Höhere Löhne für Pädagogen könnten dies ändern. Der Gastbeitrag von Makroökonom Volker Grossmann.

Der vielerorts eklatante Mangel an Kitaplätzen ist auf einen ausgeprägten Mangel an pädagogischen Fachkräften zurückzuführen. So schätzt die Bertelsmann-Stiftung, dass im Kita-Bereich bis zum Jahr 2030 mindestens 230 000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden.

Bildungspolitisch ist das ein Sündenfall. Die bildungsökonomische Forschung weist seit Jahrzehnten darauf hin, wie wichtig frühkindliche Förderung ist. Versäumnisse im frühen Kindesalter können später nicht mehr oder nur zu hohen Kosten kompensiert werden. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Lebenschancen der betroffenen Kinder. Mangelnde Chancengleichheit erzeugt Kollateralschäden am nationalen Bildungsniveau, die die Produktivitäts- und Lohnentwicklung hemmen.

15-jährige Schülerinnen und Schülern in Deutschland erzielen beispielsweise im OECD-Vergleich allenfalls durchschnittliche Pisa-Testergebnisse in den Bereichen Lesen, Mathematik und Wissenschaftsverständnis. Der Grund ist nicht, dass es wenig guten Nachwuchs gibt. Grund ist vor allem, dass vergleichsweise viele schlechte Ergebnisse erzielen.

Kitas könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das zu ändern. Aktuelle empirische Studien zeigen eindrücklich, wie gerade Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund und mit bildungsfernen Eltern von einem frühen Kitabesuch profitieren.

Sie verbessern durch die Betreuung in einer Krippe ihre sprachlichen Kompetenzen und ihr Sozialverhalten. Kinder aus gut situierten Haushalten hingegen profitieren eher wenig in diesen Bereichen. Infolge dessen hängen die Einschulungsempfehlungen dann nicht mehr vom sozio-ökonomischen Hintergrund ab, wenn Kinder ab einem Alter von spätestens drei Jahren die Kindertagesstätte besuchen.

Nur ist es in Deutschland so, dass gerade sozial benachteiligte Kinder eklatant in Kitas unterrepräsentiert sind. Dort finden sich vor allem die Kinder aus Haushalten, denen die Kommunalpolitik besonderen Bedarf an Kitaplätzen zuspricht, etwa, weil beide Eltern berufstätig sind.

Die Kitaplatzvergabe orientiert sich vornehmlich an den beruflich bedingten Kinderbetreuungsbedürfnissen der Eltern anstatt an den Bedürfnissen der Kinder. Selbstverständlich ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Das sollte aber nicht gegen das Ziel, Kindern aus sozial benachteiligten Familien Chancen zu eröffnen, ausgespielt werden.

Verantwortungsvolle Politik müsste daher Anreize dafür schaffen, dass sozial benachteiligte Kinder möglichst früh die Kita besuchen. Dazu wäre neben Gebührenfreiheit gezielte Ansprache der betreffenden Familien nötig. Darauf verzichten die Kommunen jedoch aufgrund des Mangels an Kitaplätzen. So gesehen ist der Personalmangel in Kitas aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sogar noch größer als eingangs erwähnt.

Daher ist es wesentlich, den Erzieherberuf attraktiver zu gestalten. Insofern fordert die zuständige Gewerkschaft Verdi im aktuellen Tarifkonflikt mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zu Recht, Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst tariflich höher einzugruppieren.

Auch eine adäquate Bezahlung während der praktischen Ausbildung, in der bereits pädagogische Arbeit geleistet wird, wäre ein Weg, junge Leute für die Ausbildung im Erziehungsdienst zu begeistern. So erfordern pädagogische Berufe neben Fachkenntnis auch ein hohes Maß an sozialen Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen und kommunikatives Talent. In der Privatwirtschaft werden solch nicht-kognitive Fähigkeiten immer stärker nachgefragt und entsprechend abgegolten.

Ohne massive Lohnerhöhung für Beschäftigte in Kitas und Sozialberufen sind staatliche Arbeitgeber somit inzwischen wenig konkurrenzfähig. Der Mangel ist also hausgemacht. Es ist geradezu eine Bankrotterklärung der Politik, dass anstatt Ausbildungsanreize zu schaffen, Hilfskräfte in den Kitas eingesetzt werden sollen. Pädagogische Qualitätsstandards sollen also verwässert und nicht verbessert werden.

Leider unterstützen selbst Elternbeiräte das Kita-Personal in Tarifkonflikten nicht nachdrücklich, sondern fordern mitunter unisono mit den Arbeitgebern Streikverzicht. Das ist zwar verständlich, da viele Eltern im Alltag auf Kinderbetreuung angewiesen sind. Doch haben so bislang zu Hause betreute Kinder, gerade aus sozial benachteiligten Familien, keine Lobby. Benötigt wird daher politische Weitsicht. Ansonsten ist zu befürchten, dass auch die nächsten Gelegenheiten zu einer chancengleicheren Gesellschaft durch eine auf frühkindliche Bildung orientierte Politik verpasst werden.

Volker Grossmann ist Professor für Makroökonomie an der Universität Freiburg (Schweiz), Research Fellow am CESifo in München und dem Institute of Labor Economics (IZA) in Bonn.

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