Dossier

Weshalb gibt es so viele Religionen?

Und warum gibt es so unendlich viele Antworten auf obgestellte Frage? Aus Sicht der Religionswissenschaft lässt sich die Analyse nur empirisch angehen.

Seit den frühen Arbeiten von Edmund Hardy, der 1894–1897 der erste Religionswissenschaftler an unserer Universität war, wird die Wahrheitsfrage in unserem Fach ausgeschlossen. Religionswissenschaft versteht sich als empirische Wissenschaft, die mit den geschichtlichen Zeugnissen von Religion (Texte, Bildmedien, Bauten) arbeitet und seit einigen Jahren auch sozialempirisch in unserer Gegenwartsgesellschaft forscht. Als philosophische Sinnfrage ist die Frage von Prof. François-Xavier Amherdt von Seiten der heutigen Religionswissenschaft daher nicht beantwortbar. Mit Blick auf die Fachgeschichte gab es im 19. und 20. Jahrhundert aber sehr wohl Antworten. Viele Religionswissenschaftler waren stark von protestantischer Theologie geprägt. Die Frage meines Kollegen verbunden mit der Frage nach den Geltungsansprüchen der einzelnen Traditionen in dieser religiösen Vielfalt drängte geradezu, diese Mannigfaltigkeit von Religion hierarchisch zu ordnen.

 

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Der Philologe Friedrich Max Müller (1823–1900) benutzte folgendes Gleichnis: «Wie eine alte Münze, so wird die alte Religion, nachdem man den Jahrhunderte alten Rost entfernt hat, in aller Reinheit in ihrem alten Glanze erscheinen; und das Bild, das sich zeigen wird, wird das Bild des Allvaters sein, des Vaters aller Menschen.» Im 20. Jahrhundert versuchte die sogenannte Religionsphänomenologie, die v.a. durch Rudolf Otto, Gerardus van der Leeuw und Mircea Eliade geprägt war, das religiöse Erleben ins Zentrum des einigenden Religionsvergleiches zu stellen. Es zeigte sich hier jedoch, dass all die Vorstellungen von Gott / Gottheiten, dem «Heiligen» und «Religion» sehr stark eurozentrisch und christozentrisch geprägt waren und das Christentum meist als die vollkommenste Entwicklungsstufe der Religion erschien. Dieser Ansatz wich ab den 1980er Jahren dem cultural turn, der bemüht ist, Religionen (im Plural!) in ihrem kulturellen Kontext zu verstehen.

Zum Schluss möchte ich die Frage von Prof. Amherdt aber pragmatisch wenden. Die banale Antwort, dass Religionen so vielfältig sind, da die Menschheit, ihre Kulturen, ihre Musik, ihre Ideen und Handlungen vielfältig sind, ist wegen ihres tautologischen Zirkelschlusses wenig erhellend. Aus einer soziologischen Perspektive können wir jedoch fragen: Was machen wir mit der Vielfalt der Religionen? Wie gehen wir damit um? Sofern man nicht geneigt ist, von einem materialistischen Standpunkt aus alle Religionen als eine zu überwindende Illusion zu begreifen, kann die Antwort nur lauten: Die Vielfalt ist eine Aufgabe, um voneinander zu lernen. Zuhören lernen. Miteinander reden lernen. Aus den lichten wie auch dunklen Momenten der Religionsgeschichte lernen. Verstehen lernen.

Frage François-Xavier Amherdt, Professor für Pasto­ral­theologie, Religionspädagogik und Homiletik
francois-xavier.amherdt@unifr.ch 

 

Experte Oliver Krüger ist Professor für Religionswissen­schaft am Departement für Sozialwissenschaften. Er forscht zu Medien und Religion, Religionen in der Schweiz sowie zum Post- und Transhumanismus.
oliver.krueger@unifr.ch