Forschung & Lehre

Wie hast du’s mit der Wissenschaft

Die Einstellung der Schweizer Bevölkerung zur Wissenschaft ist überwiegend positiv. Das zeigt der Wissenschaftsbarometer, eine repräsentative Umfrage von 2016. In einer neuen Studie der Universitäten Zürich und Freiburg werden aus den Daten vier Gruppen mit unterschiedlichen Haltungen zur Forschung herausdestilliert.

Wie sehr interessiert dich die Wissenschaft? Gut 1000 Personen haben die abgewandelte Gretchenfrage vor zwei Jahren beantwortet und das Resultat ist für die wissenschaftliche Community durchaus ermutigend: Mehr als die Hälfte der Befragten interessiert sich stark oder sehr stark für Wissenschaft, noch mehr vertrauen den Forscherinnen und Forschern und eine überwältigende Mehrheit ist der Meinung, dass die wissenschaftliche Forschung staatlich unterstützt werden soll.

Ein Forschungsteam der Universitäten Zürich und Freiburg hat diese Daten genauer unter die Lupe genommen und die Befragten vier Gruppen zugeordnet. Die «Sciencephilen» – rund 28 Prozent der Befragten – sind überzeugt, dass Wissenschaft sehr nützlich ist und viele Probleme lösen kann und wird. Die Gruppe der «kritisch Interessierten» (17 Prozent) teilt mit den «Sciencephilen» das grosse Interesse an der Wissenschaft, ist aber der Meinung, dass man ihr klare moralische Grenzen setzen muss. Die «passiven Unterstützer», mit 42 Prozent die grösste Gruppe, vertrauen der Wissenschaft grundsätzlich und finden, sie verbessere unser Leben. Sich gross damit beschäftigen mögen sie aber nicht. Das gilt auch für die 13 Prozent der «Desinteressierten». Für sie spielt Wissenschaft so gut wie keine Rolle. Sie trauen ihr aber auch weniger als alle anderen. Auch die öffentliche Unterstützung von Wissenschaft und Forschung hat in dieser Gruppe den geringsten Rückhalt.

 

© Getty Images

Was auffällt: Die Interessierten sind mehrheitlich Männer, während unter den wenig Wissbegierigen die Frauen stärker vertreten sind. Sind Frauen Wissenschaftsmuffel? «Wir sind der Meinung, dass es sich weniger um einen Geschlechter- als um einen Bildungsunterschied handelt», sagt Julia Metag, eine der Studienverfasserinnen. Frauen hätten tendenziell immer noch einen etwas schlechteren Bildungsgrad als Männer und niedrigere Bildung hänge mit geringerem Interesse an Wissenschaft zusammen. «Frauen mit höherer Bildung interessieren sich auch mehr für Wissenschaft», sagt die Professorin für Kommunikationswissenschaft der Uni Freiburg. Ein Unterschied, der sich hingegen am Geschlecht festmachen lässt, ist die Vorliebe für bestimmte Disziplinen. Die Resultate bestätigen traditionelle Vorstellungen: Frauen interessieren sich für Psychologie, Männer für Raumfahrt.

Der Wissenschaftsbarometer wollte von den Befragten auch wissen, wie sie mit Wissenschaft in Kontakt kommen. Ihre Antworten zeigen, dass sich die Schweizer Bevölkerung am häufigsten in Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften informiert. An zweiter Stelle liegt das Internet, wobei Wikipedia die wichtigste Informationsquelle ist. Am dritthäufigsten wird das Fernsehen genannt, Radio und Wissenschaftsmagazine spielen eine kleinere Rolle. «Dass die Printmedien noch eine verhältnismässig grosse Bedeutung haben, unterscheidet sie von anderen Ländern», sagt Julia Metag. In den USA etwa liegt das Internet an der Spitze, in vielen anderen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, ist das Fernsehen die wichtigste Quelle.

Zwischen den vier Typen zeigen sich systematische Unterschiede bezüglich ihres Medienkonsums. Die beiden interessierten Typen – «Sciencephile» und «kritisch Interessierte» – nutzen viele Kanäle: Sehr oft das Internet, aber auch die Presse, Radio und Fernsehen. Zum Vergleich: Die «Desinteressierten» erfahren fast nur über das Schweizer Radio und Fernsehen etwas über Wissenschaft und Forschung. «Sie suchen nicht gezielt nach solchen Informationen», sagt Julia Metag. Durch ihre normale Fernseh- und Radionutzung vernähmen sie aber doch gelegentlich etwas darüber. Ein Argument gegen No-Billag? «Auf jeden Fall. Dieser Service Public ist aus Sicht der Wissenschaftskommunikation wichtig», betont Metag.

Wer welche Informationskanäle wie nutzt und was die Menschen von der Wissenschaft halten: Dies herauszufinden, ist das erklärte Ziel des Wissenschaftsbarometers. Relevant sind die Ergebnisse für verschiedene Akteure. «Für die Hochschulen ist es wichtig zu wissen, welche Zielgruppen es gibt und wie man sie erreicht», nennt Metag ein Beispiel. Für die Wissenschaftspolitik und den Schweizerischen Nationalfonds ist die Haltung der Bürgerinnen und Bürger zur öffentlichen Finanzierung der Forschung bedeutsam. Besonders im Fokus stehen die Desinteressierten. Für die Legitimation staatlicher Unterstützung ist es wichtig, dass diese Gruppe nicht zu gross ist. «Unsere Erkenntnisse zeigen, wer diese Menschen sind und geben Hinweise, wie sie zu erreichen sind.» Zurzeit läuft eine Vertiefungsstudie, die das Informationsverhalten detaillierter anschaut. Je zehn Personen jedes Typs führen ein elektronisches Tagebuch, in dem sie mit Fotos und Kommentaren festhalten, wenn sie mit Wissenschaft in Kontakt kommen. Anschliessend werden die Tagebücher in Leitfadeninterviews mit den Probanden diskutiert und die Inhalte analysiert. «Mit dieser qualitativen Studie wollen wir das Profil der Gruppen noch genauer zeichnen», sagt Metag.

Die Einstellungen und das Informationsverhalten wandeln sich. Deshalb ist der Wissenschaftsbarometer als Langzeitprojekt angelegt. Die Befragungen sollen alle drei Jahre wiederholt werden. Ein grosser Teil der Fragen wird gleich bleiben, damit Veränderungen gemessen werden können. Ab der zweiten Welle wird voraussichtlich aber ein Modul eingebaut werden, das eine konkretere Frage thematisiert. Das kann ein dannzumal aktuelles wissenschaftliches Thema sein, oder ein politisches wie etwa die öffentliche Förderung von Wissenschaft. Viele Ideen dazu kommen aus dem Projekt-Beirat und von ausgewählten Akteuren aus der Welt der Wissenschaft. Ein erster «Stakeholder-Workshop» zur Evaluation und Weiterentwicklung des «Wissenschaftsbarometer Schweiz» hat bereits stattgefunden. «Es kamen unterschiedliche Impulse», sagt Metag. «Aber es steht noch nicht fest, welches konkrete Thema wir in der nächsten Welle aufnehmen werden.» Schon klar ist, dass die Befragungen 2019 und 2022 stattfinden werden. Finanziert werden sie von zwei Stiftungen und zu einem kleinen Teil von der Universität Zürich. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. «Es wäre schön, wenn der Bund sich engagieren würde», findet Julia Metag. «Schliesslich wird hierzulande viel Geld in Wissenschaft und Forschung gesteckt. Wie die Bevölkerung das wahrnimmt, ist von öffentlichem Interesse.»

 

Unsere Expertin Julia Metag ist Profes­sorin für Kommunikationswissenschaft am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg. Sie leitet den Lehr- und Forschungsbereich «Kommunikationswissenschaft». Ihre Arbeitsschwerpunkte sind politische Kommunikation, Wissenschaftskommunikation und Medienwirkung. Sie erforscht unter anderem, wie die Kommunikation über Wissenschaft und Klimawandel rezipiert wird und wie Online-Medien in der politischen Kommunikation und im Journalismus genutzt werden.

julia.metag@unifr.ch