«Migration hat in der Schweiz die Gleichberechtigung vorangebracht»

«Migration hat in der Schweiz die Gleichberechtigung vorangebracht»

Am 2. März wird an der Universität Freiburg über Migration gesprochen. Und über ihre gesellschaftlichen Folgen. Ein paar Fragen an Tagungs-Organisatorin Francesca Falk.

Frau Falk, Sie veranstalten gemeinsam mit infoclio.ch eine Tagung an der Universität Freiburg zu Migration und «sozio-politischer Innovation» – worum geht es da?
Wenn über Migration gesprochen wird, ist oft nur von Problemen die Rede. Als positive Effekte von Migration wird höchstens ihr wirtschaftlicher oder technischer Nutzen thematisiert – dass viele Firmengründer Migrationserfahrung hatten, ist relativ bekannt. Aber diese Sichtweise ist zu eng: Migration stösst immer wieder gesellschaftliche Erneuerungsprozesse an! Dass die Demokratisierung der Schweiz in nicht unbedeutender Weise mit Migration zu tun hatte, ist beispielsweise kaum bekannt. Uns interessiert, wie aus der Migrationserfahrung gesellschaftliche Innovationen entstehen, wie sie sich durchsetzen und verbreiten.

Wie stossen Migrantinnen und Migranten gesellschaftlichen Wandel denn konkret an?
Auf ganz verschiedene Weise! In meiner Forschung beschäftige ich mich etwa mit der Frage, wie Migration in der Schweiz als Motor für Gleichstellung und Emanzipation gewirkt hat. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellte sich in den Boom-Jahren insbesondere für migrantische Familien. Ihre Lebensmodelle − selbst wenn sie diese nicht freiwillig lebten − führten zum Ausbau der Kindertagesstätten-Infrastruktur. Und das bewirkte langfristig eine Veränderung in der gesamten Gesellschaft.

Auch viele Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht hatten Migrationserfahrung, ebenso wie zahlreiche der ersten Professorinnen. Zu einigen Bereichen gibt es dazu bereits exzellente Studien (etwa zu den ersten «russischen» Studentinnen in der Schweiz). Zu den meisten Aspekten gibt es aber noch kaum Forschung und deshalb fehlt die grundlegende Bedeutung der Migration oft selbst in den neueren, grossen Werken der Schweizer Geschichte.

Migration als gesellschaftliche Prägkraft und als wichtiger Bestandteil unserer Geschichte ging bislang viel zu oft vergessen. Dabei erscheint der Wandel von Geschlechterverhältnissen, Arbeitsverhältnissen, Bildung oder politischen Rechten in völlig neuem Licht, wenn man ihn aus der Perspektive der Migration untersucht. Migrantinnen und Migranten haben wichtige gesellschaftliche Prozesse angestossen.

Die Beiträge gehen von Aussenseitern im Philadelphia des 18. Jahrhunderts bis zur syrischen Diaspora im heutigen Istanbul – worauf freuen Sie sich besonders?
Ich freue mich wirklich auf alle Beiträge – und bin sehr gespannt, was für Diskussionen wir am 2. März führen werden. Die vorgestellten Fallstudien decken sehr unterschiedliche Felder und Kontexte ab. Und doch denke ich, dass wir einen roten Faden finden werden, der alle Beiträge verbindet. Dabei schauen wir auf ganz verschiedene Kontexte: Wie wurde die afrikanische Grossstadt Lagos von Migration geprägt? Wie ändern sich in Istanbul Quartiere durch die Fluchtmigration aus Syrien? Oder wie waren Migrationserfahrungen zentral für die Politisierung von antikolonialen AktivistInnen in der Zwischenkriegszeit? Es wird eine spannende Tagung werden!

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Author

War schon Wünscheerfüller, Weinbauhelfer, Unidozent, Redaktionsleiter, Veloweltreisender und kleinkünstlerischer Dada-Experte. Ist dank dem Science Slam an der Universität Freiburg gelandet.

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