«Alleine aus Asien sind im letzten Jahr fast 15 Millionen Pakete in die Schweiz gekommen»
Woman legs sticking out from box over yellow background. Shopping concept

«Alleine aus Asien sind im letzten Jahr fast 15 Millionen Pakete in die Schweiz gekommen»

Das Aufkommen des Online-Shoppings hat den Detailhandel dramatisch verändert und ein Ende ist nicht absehbar. Sind Diskussionen zu Ladenöffnungszeiten bald überflüssig? Und wann kommen Lieferroboter, selbstfahrende Autos und das E-Voting? Die einzelnen Puzzleteile der neuen Technologien setzen sich allmählich zusammen zur intelligenten Stadt der Zukunft. Am jährlichen Wissenschaftscafé auf Deutsch in Düdingen stellen sich zwei Uniprofessoren sowie die Leiterin Entwicklung und Innovation der Post den Fragen des Publikums. Dirk Morschett, Experte für Handel und E-Commerce, äussert sich in einem Kurzinterview zu diesem spannenden und ebenso komplexen Thema.

Herr Morschett, die Shopping-Center verlieren an Umsatz, während jene im E-Commerce steigen. Bahnt sich da ein gewaltiger Umwälzungsprozess an?
Wir beobachten im Detailhandel bereits seit einigen Jahren, dass Kunden immer seltener in stationäre Geschäfte gehen und stattdessen immer häufiger ihren Bedarf online decken. In einigen Branchen, v.a. bei Bekleidung, steht der stationäre Handel unter einem enormen Druck. Auch Unterhaltungselektronik, Spielwaren und einige andere Warengruppen gehen in diese Richtung. Bei Lebensmitteln sieht das noch ganz anders aus, da werden erst knapp 2% des Umsatzes in der Schweiz online erzielt.

Shopping-Center sind in der Schweiz über Jahrzehnte hinweg geboomt, aber nun wird es schwer. Wir beobachten Leerstände, weil die Kundenfrequenz zurückgeht. Auch hier werden wir einen Umbruch erleben und Shopping-Center werden sich sehr stark in Richtung Freizeitangebot orientieren müssen, wenn sie überleben wollen.

Welche Vorteile ergeben sich für uns als Kunden? Und welche Nachteile?
Nun, der Online-Handel hat ja für viele Kunden – v.a. bei den genannten Branchen – ganz offensichtlich einen Vorteil, denn es zwingt sie ja niemand, dort zu kaufen; sie tun es freiwillig.

Da ist natürlich die Bequemlichkeit ein wichtiger Aspekt – man kauft zuhause von der Couch aus und die Ware wird nach Hause geliefert. Die Webseiten der Händler bieten zudem ein spannendes Einkaufserlebnis und viele Suchmöglichkeiten. Häufig ist dieser Prozess auch noch mit sozialen Medien verknüpft, wo der Kunde oder die Kundin den Freunden auch gleich zeigen kann, was man gekauft hat.

Die Nachteile sehe ich in erster Linie auf einer gesellschaftlichen Ebene – Leerstände in Innenstädten nehmen zu und damit verliert der öffentliche Raum an Bedeutung. Zudem ist der stationäre Handel ein wichtiger Arbeitgeber und hier werden wir Einschnitte erleben. Aus Schweizer Sicht nimmt mit dem Online-Handel auch der Kaufkraftabfluss ins Ausland zu. Dies beobachtet man schon heute. Amazon, Alibaba und Zalando gehören zu den wichtigsten Online-Händlern im Schweizer Markt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass gerade diese ausländischen Anbieter noch stärker wachsen werden.

Aus individueller Sicht ist die Thematik der Daten, die der Online-Handel über den Kunden sammelt, sicherlich aufmerksam zu beobachten. Einerseits hilft dies dem Kunden, weil der Handel dem Kunden damit genau die Produkte anbieten kann, die auch relevant sind für ihn. Andererseits geht damit natürlich auch eine enorme Macht der Online-Händler einher, die ihr Wissen vielfältig ausnutzen können.

Von der virtuellen in die reale Welt, denn Produkte müssen letztlich immer zugestellt werden: Welche Innovationen darf man von den Akteuren in diesem liberalisierten Markt künftig erwarten?
Alleine aus Asien sind im letzten Jahr fast 15 Millionen Pakete in die Schweiz gekommen. Diese und alle anderen Pakete müssen auch zugestellt werden, mit den logischen Konsequenzen für das Verkehrsaufkommen. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern die Online-Händler stehen sich damit letztlich auch selbst im Weg. Wenn immer mehr Pakete versendet werden, wird es immer schwieriger, pünktlich zu liefern.

Es laufen deshalb zahlreiche Tests, wie man dieses Dilemma lösen kann. Lieferungen per Drohne sind vermutlich nicht die Lösung. Lieferroboter werden ausprobiert und sicherlich werden autonome Fahrzeuge langfristig ein Element der Online-Logistik sein. Aber mittelfristig werden wahrscheinlich andere Konzepte – vom Velo-Kurier über kleine, elektrische Lieferfahrzeuge – eingesetzt werden. Zentrale Paketboxen, bei denen der Kunde sein Produkt auf dem Heimweg dann mitnimmt werden wichtiger. Und man wird versuchen, Paketanlagen beim Kunden zuhause (z.B. in grossen Mehrfamilienhäusern) zu installieren, damit man wenigstens kein zweites Mal anfahren muss, nur weil der Kunde gerade nicht zuhause ist.

Viele Rabatte gibt es überhaupt erst für jene, die ihre Daten preisgeben. Das bedeutet also auch, dass Daten einen Wert haben.
Selbstverständlich haben Daten einen Wert. Einige der grössten Unternehmen der Welt – z.B. Google, Amazon, Facebook – erzielen hohe Gewinne damit, dass sie genaue Informationen über den Kunden haben. Das ist nicht nur negativ für den Kunden, denn es hat eine enorme Bequemlichkeit und gute Problemlösungen mit sich gebracht. Aber es ist wichtig, dass der Kunde einerseits transparent weiss, welche Daten über ihn gesammelt werden und dass er andererseits auch wieder stärker die Kontrolle darüber zurückerhält.

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  • Das Wissenschaftscafé zum Thema E-Commerce findet am Donnerstag, 7. Februar 2019 um 18.00 Uhr im Restaurant & Hotel Buffet Düdingen (beim Bahnhof) statt.
  • Dirk Morschett, Professor am Lehrstuhl für Internationales Management, ist Experte für Handel und E-Commerce.
  • Weitere Teilnehmende:
    Claudia Pletscher, Leiterin Entwicklung und Innovation, Schweizerische Post
    Prof. Dr. Edy Portmann, Experte für Smart Cities und Cognitive Computing

Author

Ist im Grüezi-Land einst aufgewachsen, doch das Schicksal zieht ihn jedoch immer wieder nach Freiburg: zuerst für die RS, dann fürs Studium, später fürs Wohnen und seit 2017 auch fürs Arbeiten. Als Leiter des Dienstes Unicom interessiert er sich für alles ein bisschen und ein bisschen für alles.

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