«Ich finde das Manifest überhaupt nicht radikal»
Striking German schoolgirls putting up a banner in East Berlin.

«Ich finde das Manifest überhaupt nicht radikal»

Am 14. Juni wird gestreikt – auch an den Schweizer Universitäten. Bereits heute haben Forscher_innen ein Manifest veröffentlicht.

Francesca Falk, warum kommt es am 14. Juni zu einem schweizweiten Frauenstreik?
Einen einzelnen Auslöser gibt es nicht. Der Streik wird auch nicht von einem zentralen Komitee organisiert – die Bewegung ist vielfältiger und speist sich aus dem Ärger vieler Einzelner. Anders gesagt: Viele Frauen haben offenbar einfach gerade genug. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen es seit Jahren nicht vorwärts geht – und andere, wo wir einen richtigen Backlash erleben. Besonders sichtbar ist der in den USA mit Donald Trump.

Und diesen Backlash gibt es auch in der Schweiz?
Absolut. Beispielsweise kommen die Genderstudies vermehrt unter Druck. Bereits Erreichtes wird wieder infrage gestellt. Dagegen wehren sich die Streikenden. Oder es gibt den erschreckenden Hass gegen Politikerinnen im Internet. Frauen, die sichtbar ihre Position vertreten, werden da massiv angegangen. Und das nicht nur, wenn sie polarisieren: Sogar die ausgesprochene Konsenspolitikerin Doris Leuthard hat sich kürzlich darüber beklagt, was sie alles an Beschimpfungen aushalten muss. Die Bekämpfung dieser «Hatespeech» ist darum auch eine der Forderungen des Streiks.

Was sind denn weitere Anliegen?
Unterschiedliche Frauen haben unterschiedliche Anliegen, dementsprechend breit sind auch die Forderungen. Viele ärgern sich beispielsweise über weiterhin bestehende Lohndifferenzen oder über die Unterschiede bei der unbezahlten Arbeit. Es gibt Studien, die zeigen, dass Männer und Frauen in der Schweiz ungefähr gleich viel arbeiten. Bloss übernehmen die Frauen viel mehr schlechter oder gar nicht bezahlte Arbeit. Das führt dazu, dass ihr durchschnittliches Einkommen am Ende nur etwas mehr als halb so gross ist, wie jenes der Männer.

Deshalb werden auch Sie am 14. Juni streiken.
Ja. Mir war von Anfang an klar, dass ich mich engagieren wollte, ich hatte aber ein Problem: Mein Streik wäre nicht automatisch sichtbar. Es sind Semesterferien und ob ich da arbeite oder nicht, merkt eigentlich niemand. Anderen Forscher_innen aus der ganzen Schweiz ging es genau gleich. Zugleich gibt es auch an der Uni einen grossen Handlungsbedarf. Und so beschlossen wir, ein nationales Manifest mit hochschulspezifischen Forderungen zu verfassen.

Und was steht da drin?
Insgesamt sind es 20 Forderungen. Dabei geht es beispielsweise um Schritte gegen die prekären Arbeitsbedingungen an den Universitäten oder darum, dass wir heute zwar mehr Studentinnen als Studenten, aber noch immer viel zu wenige Professorinnen haben.

Viele Massnahmen benötigen kein Geld, sondern die richtigen Entscheide. Nehmen wir Job-Sharing: In der Histoire contemporaine teilen sich bereits zwei Professoren ein Pensum. An den meisten anderen Instituten und Universitäten ist solches aber noch immer nicht möglich. Dabei würde Job-Sharing mehr Frauen eine Professur ermöglichen.

Andernorts ist es eine Frage, welche Form von Frauenförderung betrieben wird. Beim SNF wurde beispielsweise ein Förderinstrument für Frauen mit Familie durch ein Exzellenz-Instrument ersetzt, das nur Frauen ab der Post-Doc-Stufe offensteht.

Damit spricht man aber ein anderes Klientel an. Dass der Frauenanteil mit jedem akademischen Karriereschritt abnimmt hat ja Gründe. Die Arbeitsverhältnisse an den Universitäten verlangen eine hohe Mobilität und sind sehr oft prekär – also schlecht bezahlt, befristet oder beides. Dabei brauchen gerade Forschende, die eine Familie wollen, auch eine gewisse finanzielle Sicherheit und können nicht einfach so mobil sein. Wir fordern deshalb mehr unbefristete Stellen und dass die Mobilität keine Voraussetzung für eine akademische Karriere sein darf.

Und erreicht man es, dass es mehr Frauen ganz an die Spitze schaffen?
Indem die Universitäten mehr Professorinnen berufen. Bis da Ausgeglichenheit herrscht, fordern wir, mindestens 50 Prozent der Professuren mit Frauen* zu besetzen.

Eine 50%-Quote bei Neuberufungen!?
Warum denn nicht? Wir hätten auch mehr verlangen können. Ganz allgemein finde ich unser Manifest überhaupt nicht radikal. Was wir fordern ist vernünftig.

Manche Probleme lassen sich tatsächlich ändern, indem man die Spielregeln ändert. Anderem ist nicht einfach so mit einem neuen Reglement beizukommen.
Stimmt. Beispielsweise Belästigungen oder der alltägliche Sexismus. Als ich doktorierte, verglich ein Professor in einem Kolloquium den Google-Schlitz mit einer Vagina – man könne bei beiden alles Mögliche reinschieben. Es waren damals mehrere Professoren anwesend, aber keine Professorin – und niemand sagte etwas dazu, es wurde nur gelacht. Wir Doktorandinnen waren schlicht zu schockiert, um darauf adäquat reagieren zu können. Gibt es mehr Frauen in Machtpositionen, dann verschwinden solche Bemerkungen. Auch darum geht es uns mit unserem Manifest.

Wer kann das Manifest denn überhaupt unterzeichnen?
Da sind wir sehr offen. Der Text beginnt mit den Worten: «Wir sind Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen und werden am 14. Juni 2019 streiken.» Alle, die sich damit identifizieren  − unabhängig von ihrem Geschlecht −, können das Manifest online unterschreiben.

Was versprechen Sie sich denn vom Manifest? Die Forderungen werden ja wohl kaum eins zu eins umgesetzt.
Die Funktion des Manifestes ist es, eine Diskussion anzustossen und ein  Bewusstsein für die Defizite zu schärfen. Als ich beispielsweise schwanger wurde, war klar, dass ich mich in den ersten Monaten um das Kind kümmern werde, weil nur ich Anspruch auf eine bezahlte Elternzeit hatte. Mein Partner hatte damals eine Woche Vaterschaftsurlaub und konnte zudem noch geblockt ein paar Ferienwochen beziehen und das Pensum später eine gewisse Zeit reduzieren, was bereits eine sehr privilegierte Situation war. Und trotzdem war das noch lange keine gleichberechtigte Aufteilung. Der Staat bestimmt von Anfang an die Rollenverteilung und das hat weitreichende Folgen. Er greift an einem extrem intimen Punkt in unsere Beziehung ein und bestimmt, wer was zu tun hat. Solche Fragen müssen gesellschaftlich diskutiert werden.

War denn der letzte Frauenstreik politisch ein Erfolg?
Ja. Kurzfristig sowieso: eine halbe Million Frauen hat mitgemacht. Damit war der Frauenstreik der grösste Streik seit dem Landesstreik (wobei auch unbezahlt arbeitende Frauen streikten; die fallen bei gängigen Streikdefinitionen durch die Maschen). Wichtiger aber war, dass der Streik der Frauenbewegung starken Auftrieb verliehen und dass der politische Druck unter anderem zum Gleichstellungsgesetz von 1996 und zur Wahl der zweiten Frau (Ruth Dreifuss) in den Bundesrat beigetragen hat.

Und können sich eigentlich auch Männer am Streik engagieren?
Natürlich! Solange sie sich nicht in den Vordergrund drängen. Beim letzten Frauenstreik 1991 haben Männer beispielsweise eine Streikküche betrieben, damit die Frauen streiken konnten. Bei unseren Sitzungen gibt es zudem gegenwärtig eine Gruppe von Männern, die jeweils die Kinderbetreuung übernimmt. Wir vergessen sowieso viel zu oft, dass feministische Anliegen, wie  etwa die Elternzeit oder generell eine gerechtere Gesellschaft auch Anliegen von vielen Männern sind.

Und wenn man keine Zeit hat?
Das Mitmachen am Streik ist sehr niederschwellig. Wer nicht den ganzen Tag streiken kann, kann beispielsweise morgens um 11h mitmachen. Zu diesem Zeitpunkt finden in der ganzen Schweiz symbolische Aktionen statt. Wer gar keine Möglichkeit hat, die Arbeit niederzulegen, kann zudem etwa durch die Kleidung oder das Aufstellen von Schildern auf den Frauenstreik und seine Forderungen aufmerksam machen.

Was wird am 14.6. an den Unis stattfinden?
So genau kann ich das nicht sagen – es hängt von den Unis und den unzähligen Gruppierungen ab, die etwas auf die Beine stellen. Weil Semesterferien und die meisten Leute nicht da sind, werden die grossen Kundgebungen wohl eher anderswo stattfinden. Ich selbst werde in Bern sein, da ich dort im lokalen Streik-Komitee aktiv bin. In Freiburg spüren wir übrigens auch einen gewissen Support aus dem Rektorat: Astrid Epiney hat eine E-Mail geschrieben mit der Bitte, dass am 14.6. keine Prüfungen stattfinden sollen. So können sich auch alle Studierenden am Streik beteiligen. Zudem wird sie mit uns über das Manifest diskutieren. Dieser öffentliche Anlass findet zusammen mit anderen Mit-Diskutierenden am 15. Mai von 18.30 bis 20 Uhr in der Miséricorde statt – wir freuen uns sehr, wenn möglichst viele kommen – und natürlich auch unser Manifest unterschreiben!

Emanzipation und Migration.
Ein Blick in die Schweizer Geschichte zeigt, dass Migration viel dazu beigetragen hat, die Verhältnisse in der Arbeitswelt, Bildung und Politik zugunsten von Frauen zu verändern. Francesca Falks soeben veröffentlichtes Buch beleuchtet diese Zusammenhänge zum ersten Mal in einer Gesamtschau. Da heute Migration oft als Gefahr für die Gleichberechtigung gesehen wird, sind diese Befunde von besonderer Bedeutung und Brisanz. Gender Innovation and Migration in Switzerland. Cham: Springer International Publishing (Palgrave Studies in Migration History).
Open Access: http://www.palgrave.com/978-3-030-01626-5

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  • Zum Manifest
  • Infos zum Frauenstreik
  • Am Mittwoch, 15. Mai diskutiert unsere Rektorin Astrid Epiney gemeinsam mit Pascal Gygax (Psycholinguist), Niels Rebetez (Vertreter des CSWM im Fakultätsrat) sowie Francesca Falk (Mit-Initiantin Manifest) an einer öffentlichen Veranstaltung über die vorgebrachten Forderungen. Moderiert wird der Anlass von Sarah Baumann und Pauline Milani. 15.5. 2019, 18.30 Uhr, Miséricorde 11 salle Laure Dupraz 2.102
  • Webseite von Francesca Falk

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War schon Wünscheerfüller, Weinbauhelfer, Unidozent, Redaktionsleiter, Veloweltreisender und kleinkünstlerischer Dada-Experte. Ist dank dem Science Slam an der Universität Freiburg gelandet.

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