«In der Kirche fehlen Gewaltenteilung, Kontrolle von Herrschaft und Teilhaberechte» (Teil 1/2)

«In der Kirche fehlen Gewaltenteilung, Kontrolle von Herrschaft und Teilhaberechte» (Teil 1/2)

Theologieprofessor Daniel Bogner hat sich in seinem neusten Buch den Frust über den Zustand der katholischen Kirche von der Seele geschrieben. Enttabuisierend, rebellierend, aber auch konstruktiv-kritisch. Im Gespräch äussert er sich zu fehlenden «Checks and Balances», der unmöglichen Rolle der Bischöfe und sagt, wieso etwas mehr Anarchie der Kirche gut täte.

«Ihr macht uns die Kirche kaputt … doch wir lassen das nicht zu!» heisst die Kritik, die sich als Stimme in die (kirchen-)politische Debatte einmischen will. Ob Sexualität, Missbrauch oder Rolle der Frau – der 47-jährige Deutsche lässt nichts aus. Im Gegensatz zu schockierenden Dokumentarfilmen und Skandalgeschrei besinnt sich der Moraltheologe aber auch auf die akademische Seite. So fordert er unter anderem eine kirchliche Verfassungsdiskussion, sucht Vergleiche zwischen der Institution der Kirche mit dem demokratischen Rechtsstaat und kritisiert die Vermischung von der Kirche als «Lehrkörper» (mit einer Glaubenswahrheit) und als «Sozialkörper», die sich einer deutlich strengeren Kontrolle unterwerfen soll.

Herr Professor Bogner, wenn ein Unternehmen oder eine Organisation in einer grossen Krise steckt, holt es sich üblicherweise externe Hilfe, um wieder Vertrauen herzustellen. Sind Sie als Teil dieser Kirche nicht viel zu emotional?
Theologie muss man sich ein bisschen vorstellen wie die «teilnehmende Beobachtung» in der Ethnologie. Sie ist konzipiert als eine kritische Funktion aus der Teilnehmerperspektive. Darin liegt gerade ihre Stärke. Denn sie ist nicht der Kirche als sozialer Organisation verpflichtet, dann wäre sie wirklich ideologisch, sondern ist bezogen auf den Sachgehalt des christlichen Glaubens. Von daher kann und muss sie kritisieren, wie die Kirche agiert und was diese aus dem inhaltlichen Anspruch des Glaubens macht. Gegenwärtig heisst das: Theologie ist Anwältin der Kirchenmitglieder, weil deren berechtigte Anliegen in der kirchlichen Verfassungsordnung der absolutistischen Monarchie nicht angemessen vorkommen. Grundsätzlich gilt: Beide Blickrichtungen, die Kritik von innen (Theologie) und die von aussen (z.B. Religionswissenschaften), ergänzen sich, beide sind notwendig. Unternehmensberatungen hat sich die Kirche übrigens schon öfter eingekauft.

Sie sagen, dass die gegenwärtige Krise der Kirche so gravierend ist, dass es zunächst einer sehr gründlichen Analyse und Diagnose bedarf. Das tönt nach Stillstand während mindestens zehn Jahren.
Nein, im Gegenteil! Zu sagen, wir brauchen eine grundständige Diagnose, heisst nicht, das ist eine Ewigkeitsaufgabe, sondern nur, dass wir den Fokus anders ansetzen müssen als bisher. Momentan ist es doch häufig so: Der Reformflügel des Katholizismus verlegt sich auf die «guten» Botschaften des II. Vatikanischen Konzils und versucht, diese exemplarisch umzusetzen. Aber man ist oft blind für die Frage nach den Gefässen und Verfahren, ohne die das erneuerte Denken nicht umgesetzt werden kann. Und hier kommen Kirchenstruktur und Recht ins Spiel. Vielfach wurde ausgeblendet, wie zentral diese Dimension ist. Dass man eben nicht eine partizipationsorientierte Kirche in der Rechtsgestalt einer absolutistischen Monarchie errichten kann! Es ist deshalb dingend erforderlich, den Finger in diese Wunde zu legen und eine kirchliche Verfassungsdiskussion zu beginnen. Ziel wäre eine kirchliche Rechtskultur, in der «Menschenwürde» nicht nur nach aussen verkündet wird, sondern auch zum verbindlichen Kriterium des eigenen, kirchlichen Rechts und der Institution Kirche würde. Die Missbrauchskrise zeigt den Bedarf dafür unübersehbar an: Es fehlt in der Kirche, die ja nicht nur geistliche Grösse, sondern als Sozialkörper eben auch eine Organisation mit Zuständigkeiten, Befugnissen und unterschiedlichen Funktionen und Rollen ist, an zentralen rechtsstaatlichen Errungenschaften: Gewaltenteilung, eine wirklich verbindliche Kontrolle von Herrschaft und echte Teilhaberechte. Es ist dramatisch, dass erst die Missbrauchskrise mit dem unsäglichen Leid, das sie schuf, den Blick für diese Schieflagen öffnete.

Sprechen wir konkret über Missbrauchsfälle in der Kirche. Sie betonen die wichtige Rolle der Bischöfe. Wieso gerade sie Bischöfe?
In ihrer gegenwärtigen Verfassung vereint der Bischof in der Katholischen Kirche alle drei Gewalten in einer Person: Regentschaft, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Bischöfe haben deshalb höchste Macht, aber dann auch höchste Verantwortung, der sie gerecht werden müssen. Das gilt gerade in der Missbrauchskrise. Das Problem ist: Mit diesem Modell von Herrschaft gibt es in der Kirche keinen Mechanismus von «Checks und Balances», über den sich die drei Gewalten gegenseitig kontrollieren könnten. Es ist beinahe alles vom guten Willen der Person des Bischofs abhängig. In einer Situation, in der Menschen zu Opfern schwerer Verbrechen geworden sind, ist es nicht sehr beruhigend, allein auf Geist und Haltung der Kirche und ihrer Verantwortungsträger setzen zu müssen. Und deswegen ruft diese Missbrauchskrise auch so laut nach «systemischen» Reformen.

Immer wieder sieht man in Dokumentarfilmen Priester, die entschuldigend angeben, dass sie vom Teufel beseelt waren. Ihre Opfer «entschädigen» sie mit Gebeten. Hand aufs Herz: Kann es je besser werden, wenn das Weltbild dieser Priester derart weit von einem zeitgemässen Rechtssystem ist?
Das ist absurd und verrät jeden religiösen Sinn von Gebet und jede moralische Vorstellung von Verantwortung. Auch wo sexuelle Gewalt als Akte religiöser oder spiritueller Praxis ausgegeben werden, findet eine unsägliche Camouflage statt. Man bedient sich der religiösen Semantik, um dem Narzissmus des eigenen Begehrens nachgehen zu können. Dass Ordensschwestern bis ins Mark verletzt sind, weil sie der spirituellen Semantik stets trauten, zeigt die ARTE-Dokumentation «Gottes missbrauchte Dienerinnen» sehr eindrücklich. Hier in Freiburg hat die Theologie vielleicht eine besondere Aufklärungspflicht, wenn man an den Fall Marie-Dominique Philippe denkt. Der Dominikanerpater war Professor an der hiesigen Fakultät, bevor er als geistlicher Rektor der von einigen seiner Studenten gegründeten «Johannesgemeinschaft» wurde. In dieser Funktion begleitete er auch Frauen, die er dann sexuell missbrauchte, alles unter dem Deckmantel des von ihm entwickelten Elaborats der sogenannten «Freundschaftsliebe», mit der die körperliche Annäherung als vermeintliche Form der Gottesbegegnung ausgegeben wird. Das ist wirklich perfide und abstossend – und hier ist die kritische, aufklärende Funktion der Theologie gefragt. Weder können die zentralen Inhalte des christlichen Glaubens so ausgelegt werden, dass sie derartige Übergriffigkeiten erlauben, noch dürfen die Strukturen der Kirche als ein Biotop dafür dienen.

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Author

Ist im Grüezi-Land einst aufgewachsen, doch das Schicksal zieht ihn jedoch immer wieder nach Freiburg: zuerst für die RS, dann fürs Studium, später fürs Wohnen und seit 2017 auch fürs Arbeiten. Als Leiter des Dienstes Unicom interessiert er sich für alles ein bisschen und ein bisschen für alles.

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