Im Kollektiv gegen den Sexismus im weissen Kittel

Im Kollektiv gegen den Sexismus im weissen Kittel

Sie wollen sicher nicht «Chérie» genannt werden und setzen sich dafür ein, dass sich im Ausbildungs- und Spitalumfeld alle wohlfühlen: Im Interview erklären Lea und Linda vom neu gegründeten Kollektiv CLASH Fribourg, wie sie gegen Sexismus und sexuelle Belästigung in der Medizin vorgehen.

Sie gehören zu den Mitbegründer_innen von CLASH Fribourg. Warum braucht es das Kollektiv?
Lea: Unser Vorbild ist CLASH in Lausanne – das ist sozusagen das Original. Dort haben sich Medizinstudentinnen aus dem Praktikumsjahr zusammengetan, weil sie im Spital viel Sexismus und auch sexuelle Belästigung erfahren haben. Daraufhin haben sie auf informelle Weise Zeugenaussagen gesammelt. Es kamen schreckliche Geschichten ans Tageslicht. Bei ihnen war das spezifisch auf das Lausanner Universitätsspital (CHUV) bezogen. Aber es liegt auf der Hand, dass diese Probleme auch in anderen Spitälern auftreten. In Freiburg verbringen wir mit dem neuen Masterstudium nun ebenfalls viel Zeit im Spital. Wir haben zum Glück noch keine schrecklichen Geschichten erfahren, aber wir versuchen bereits präventiv einzuwirken.

Wie kämpft CLASH in Freiburg konkret gegen diese Probleme an?
Linda:
Das Institut für Hausarztmedizin hat ein Formular erstellt, mit dem Betroffene oder Personen, die Zeugen von Diskriminierungen wurden, uns ihre Fälle schildern können. Dieses Formular kann online anonym ausgefüllt werden. Zudem kann man uns an zwei Tagen pro Woche während zwei Stunden telefonisch kontaktieren. An einem Tag auf Französisch und Italienisch, am anderen Tag auf Deutsch. Wir sind da, um zuzuhören und allenfalls Ratschläge zu erteilen.
Lea: Wir sind keine institutionelle Struktur, anhand der Zeugenformulare und Anrufe verfassen wir aber zweimal pro Jahr einen zusammenfassenden Bericht. Es geht darum, der Universitätsleitung und der Leitung des Freiburger Spitals (HFR) mögliche Probleme aufzuzeigen.

Linda: Zusätzlich wollen wir mit verschiedenen Projekten und Veranstaltungen die Leute sensibilisieren und informieren, Diskussionen anregen und dadurch zu Lösungsansätzen beitragen. Vor kurzem organisierten wir zum Beispiel einen Filmabend. Wir stehen am Anfang und haben viele Ideen – einige davon gilt es nun noch zu konkretisieren.

Es gibt weltweit verschiedene Studien, die Probleme mit Sexismus in der medizinischen Ausbildung bestätigen. Das Thema ist präsent: 92 Prozent der befragten Medizinstudent_innen an der Universität Freiburg haben bereits von Sexismus oder sexueller Belästigung in Spitälern gehört, 54 Prozent fürchten sich davor, in zukünftigen Praktika selbst davon betroffen zu sein. Sind im Medizinstudium diese Probleme weiter verbreitet als in anderen Studienfächern?

Lea: Vor allem im praktischen Teil unseres Studiums wird es problematisch. Sobald wir im Spital arbeiten, befinden wir uns in steilen hierarchischen Strukturen. Wir werden von vielen verschiedenen Personen betreut, wobei immer auch eine gewisse Abhängigkeit besteht. An den meisten Orten bleiben wir nur kurze Zeit, es gibt viele Wechsel. Wenn die Situationen instabil und die Hierarchien steil sind, wird das System anfälliger für Sexismus, sexuelle Belästigung und Diskriminierung im Allgemeinen – die Probleme werden weniger schnell bemerkt, und nicht immer wird offen darüber gesprochen.
Linda: Für uns ist aber auch wichtig, dass die Diskussionen über diese Probleme nicht nur im Bereich der Medizin geführt werden. Wir müssen irgendwo anfangen, und weil wir Medizin studieren, starten wir eben hier. Aber wir sind offen für alle, es geht nicht nur um uns.

Dann kann sich bei Ihnen auch eine Geschichtsstudentin melden, die Sexismus erfahren hat?
Linda: Selbstverständlich. Wir haben noch nicht viel Erfahrung und wollten deshalb klein beginnen – aber es dürfen sich alle bei uns melden.
Lea: Das gilt übrigens nicht nur auf universitärer Ebene, sondern auch spitalspezifisch für andere Hierarchiestufen. Denn als Medizinstudent_innen sind wir zwar in der Ärzt_innenhierarchie zuunterst, wenn man alle anderen Berufsgruppen anschaut, die im Spital arbeiten, sind wir aber immer noch in einer ziemlich privilegierten Position. Es gibt die Pfleger_innen, die Putzfachkräfte, die Küche: Sie alle können uns von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung – das kann neben Sexismus auch Rassismus, LGBTQ-Feindlichkeit et cetera sein – berichten. Langfristig gesehen möchten wir uns im gesamten System etablieren.

Woher kommen diese steilen Hierarchien in der Medizin?
Linda:
Grundsätzlich ist es ja durchaus sinnvoll, wenn man Supervisor_innen hat, schliesslich verfügen diese über mehr Erfahrung. Entscheidend ist vor allem auch das Bewusstsein über die Strukturen und der Umgang damit.
Lea: Ich denke ebenfalls, dass unsere Ausbildung so gross und komplex ist, dass es in einem gewissen Mass Sinn ergibt, dass man nicht automatisch nach dem Studium selbstständig ist und die volle Verantwortung trägt. Alle Vorgesetzten haben wieder ein Stück Verantwortung mehr. Für den Lernprozess und den Verantwortungsprozess ist das sinnvoll. Was sicher zusätzlich zu den steilen Hierarchien beiträgt: Historisch gesehen wurden Ärzt_innen lange Zeit teils fast schon als Übermenschen betrachtet. Dieses Bild der Götter in Weiss hat allerdings sowohl auf die Atmosphäre innerhalb der Ärzteschaft, als auch hinsichtlich der Behandlung von Patient_innen mehr negative als positive Auswirkungen.

Sie studieren beide im fünften Jahr Medizin. Haben Sie während Ihrer Ausbildung selbst schon Sexismus oder sexuelle Belästigung erlebt?
Linda: Persönlich nicht.
Lea: Meiner Meinung nach beginnt es auf einer theoretischen Ebene in den Vorlesungen schon ab dem ersten Jahr. Wenn Beispiele aus der Klinik behandelt werden, heisst es typischerweise immer «der Arzt», «der Patient», «die Krankenschwester». Das ist der Grundstein für die sexistische Haltung, in der wir ausgebildet werden. Diese Haltung trägt dazu bei, dass sich einige Leute berechtigt fühlen, sich auf eine gewisse Weise zu verhalten, die objektiv betrachtet auf keinen Fall in Ordnung ist.

Und auf der praktischen Ebene?
Lea: Dort gibt es viele kleine Beispiele: In meinem dritten Studienjahr hat der eine Tutor mich und eine andere Studentin «Chérie» genannt. In einem professionellen Ausbildungsrahmen war das für mich absolut deplatziert. Ein anderes Mal habe ich mitgekriegt, wie ein Chirurg im Operationssaal eine sexistische Bemerkung machte und gleich hinzufügte, nach dieser Aussage werde er bestimmt bald vom HR herbeizitiert. Er war sich also bewusst, dass die Aussage nicht okay ist, machte sie aber trotzdem.

Haben Sie auch bereits von schwerwiegenden Fällen gehört?
Lea:
Es ist nicht unser Ziel, an dieser Stelle davon zu erzählen. Aber ja, es gibt sie. Wir hatten auch bereits eine Kontaktaufnahme einer Studentin, die zwar nicht in Freiburg studiert hat, aber im Kantonsspital Freiburg ein Praktikum absolvierte und Dinge erlebte, die ganz eindeutig nicht okay sind. Ins Detail gehen möchte ich aber nicht, das überlassen wir der Betroffenen selbst, sollte sie irgendwann ihre Geschichte öffentlich erzählen wollen.

Wer ergriff die Initiative, einen Ableger von CLASH in Freiburg aufzubauen?
Linda:
Das Institut für Hausarztmedizin hat ein sehr engagiertes Team, das entschlossen gegen Sexismus im Spital-Milieu vorgeht und auch in diesem Fall den Anstoss gab. Eine junge Ärztin, die im Institut arbeitet, war bereits bei der Gründung von CLASH in Lausanne dabei. In Gesprächen mit ihr entwickelten wir Ideen, wie wir vorgehen könnten.

Welche langfristigen Visionen verfolgt das Kollektiv?
Lea:
Wir möchten dazu beitragen, dass es im Bereich der Medizin gerechter und inklusiver zu und her geht. Damit wir eines Tages als gute Vorbilder dastehen und nicht die alten Muster, mit denen wir nicht einverstanden sind, weiterverfolgen. Das wirkt sich später auch auf den Umgang mit Patient_innen aus. Auch dort darf es absolut keinen Platz für Sexismus, Rassismus oder irgendeine andere Form von Diskriminierung geben. Wir wollen dazu beitragen, dass in einem Spital und einem Praxisumfeld sowohl die Pflegebedürftigen als auch alle, die Pflege geben, sich wohlfühlen können, und niemand diskriminiert wird.

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Zum Kollektiv
CLASH steht für Collectif de lutte contre les attitudes sexistes en milieu hospitalier. Das Ziel des Lausanner Originals sowie des Freiburger Ablegers: der Kampf gegen sexuelle Belästigung und Sexismus im Spital- und Praxisalltag sowie in den Ausbildungsinstitutionen. Hauptanliegen des gemeinnützigen Vereins ist es, eine leicht zugängliche Anlaufstelle anzubieten, um betroffene Personen und Zeug_innen zu schützen und zu unterstützen. CLASH Fribourg hat sieben Vorstandsmitglieder und umfasst insgesamt gut 20 Medizinstudent_innen.
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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

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