Umweltsünden im komplexen Spannungsfeld

Umweltsünden im komplexen Spannungsfeld

Die Farmer_innen in Neuseeland haben ein Problem: Sie können nicht profitabel arbeiten, ohne gleichzeitig die Umwelt zu belasten. Zu welchen Spannungen das führt, hat Anna Geiser in ihrer mit dem Umweltpreis der Universität Freiburg ausgezeichneten Masterarbeit untersucht. Im Interview spricht sie über die Ursachen für das Dilemma, mögliche Lösungsansätze – und die Situation in der Schweiz.

«Ich habe mich extrem über die Auszeichnung gefreut», sagt Anna Geiser. «Sie hat mich in meiner Überzeugung bestätigt, dass es für eine nachhaltige Gestaltung der Umwelt wichtig ist, soziale Probleme ebenfalls miteinzubeziehen.» Das hat sie auch in ihrer Masterarbeit mit dem Titel “Changing agriculture – Southland farmers’ struggles to reconcile neoliberal production demands with increasing environmental regulation“ getan. Geiser war vier Monate in Southland, einer Region im Süden Neuseelands, um ausführliche Interviews mit zehn Farmer_innen und fünfzehn Expert_innen zu führen. «Es ist wichtig, auch den Personen zuzuhören, die als Verursacher_innen von Umweltproblemen ausgemacht werden.»

Anna Geiser, Farmer_innen in Neuseeland scheinen auf den ersten Blick weit weg von der Universität Freiburg. Wie kamen Sie auf das Thema?
Landwirtschaft ist etwas überaus Grundsätzliches. Die Produktion von Nahrung geht uns alle an, wir alle essen. Es ist zudem ein Thema, das mich seit jeher beschäftigt, ein Teil meiner Familie ist in der Landwirtschaft tätig. Und warum Neuseeland? Weil die Landwirtschaft dort noch der Schlüsselsektor der Wirtschaft ist und das Land über ein einzigartiges landwirtschaftliches System verfügt. Zudem ist in Southland derzeit ein Policy-Making-Prozess im Gang.

Was macht das System in Neuseeland speziell?
Es gibt seit den Achtzigerjahren keine Direktzahlungen mehr, die Landwirtschaft wird vom Staat also nicht subventioniert, die Farmer_innen sind sich selbst überlassen. Ebenfalls bemerkenswert: Über 90 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte, die in Neuseeland hergestellt werden, werden exportiert. Das ist ein grosser Unterschied etwa zur Schweiz, wo eher der Inland-Markt wichtig ist. Die Leute in Neuseeland sehen also, dass die Farmer_innen gar nicht in erster Linie für sie produzieren, sondern für anonyme, fremde Menschen in Übersee. Das macht es umso interessanter, die Beziehung zwischen der Landwirtschaft und der Gesellschaft zu untersuchen – auch in Hinsicht auf die verursachten Umweltprobleme.

In welchem Spannungsfeld befinden sich die Farmer_innen?
Ohne Direktzahlungen sind sie gänzlich dem grossen, freien Markt ausgeliefert. Auf der einen Seite haben sie also den Druck, profitabel zu produzieren, um überhaupt zu überleben. Andererseits ist die Landwirtschaft in Neuseeland sehr intensiv. Dass das grosse Umweltprobleme schafft, ist eine Tatsache, die niemand leugnen kann. Die Landwirtschaft hat zum Beispiel einen erheblichen Anteil an der Verschlechterung der Trinkwasserqualität. Riesige Herden von Kühen weiden auf einer nicht allzu grossen Fläche. Das führt zu einer starken Belastung für den Boden, zu Sedimentation, Überdüngung, Nährstoffabfluss und Biodiversitätsverlust. Hinzu kommen natürlich die Co2-Emissionen, die durch die Exporte entstehen. In der Öffentlichkeit verstärkt sich das Bewusstsein dafür. Der gesellschaftliche Druck, auf die Umwelt zu achten, nimmt also zu. Das Problem: In Neuseeland ist es derzeit unmöglich, profitabel Landwirtschaft zu betreiben und gleichzeitig die Umweltprobleme in einem grösseren Umfang zu reduzieren.

Hat sich die Problematik in den letzten Jahren zugespitzt?
Ja, nach der Streichung der Direktzahlungen wurde den Farmer_innen lange schmackhaft gemacht, grosse Kredite aufzunehmen und grosse Betriebe aufzubauen. So konnten sie zwar kurzzeitig viel Geld verdienen, mittlerweile ist das System aber nicht mehr nachhaltig. Zudem werden die Auswirkungen sichtbarer. Es gibt Leute, die innerhalb von einer Generation miterlebt haben, wie sich der Fluss von nebenan verändert hat. Sie sagen sich: «Als Kind konnte ich hier noch baden, jetzt ist das Wasser braun.»

Die Situation scheint festgefahren. Wie können die verschiedenen Akteur_innen für Veränderung sorgen – seien es die Farmer_innen, der Staat oder die Konsument_innen?
Wichtig ist, dass sie alle zusammenarbeiten, um das Problem gemeinsam anzugehen. Der Staat hat lange Zeit versagt, weil die Regeln nicht restriktiv genug waren, um die Intensivierung der Landwirtschaft zu verhindern. Also muss er strengere Regeln festlegen. Bestrebungen in diese Richtung sind derzeit im Gang. Die Farmer_innen müssen ebenfalls ein logisches Interesse daran haben, die Umweltprobleme zu lösen. Es muss für sie aber auch umsetzbar sein, deshalb ist der Dialog zwischen Politik und Landwirtschaft so entscheidend. Auf Ebene der Konsument_innen muss bei den Leuten vor allem das Bewusstsein für die Thematik gestärkt werden. Wie in der Schweiz gibt es immer mehr Entfremdung zwischen Stadt und Land, zwischen Produzierenden und Konsumierenden. Um das zu ändern, sollten sich alle wieder mit den folgenden Fragen auseinandersetzen: Wo kommt das Produkt her? Wer hat es produziert? Welchen Herausforderungen stehen diese Leute gegenüber?

Gibt es in Neuseeland grundsätzlich zu viele Farmer_innen?
Das ist eine kontrovers diskutierte Frage. Es gibt jedenfalls sehr viele. Soll das System nachhaltig sein, müssen einige davon verschwinden. Das Problem: Die Landwirtschaft ist ein riesiger Teil der neuseeländischen Wirtschaft, sie macht rund zwei Drittel der Exporte des Landes aus. Man darf nie vergessen, dass hinter den Zahlen Schicksale stecken, Menschen, manchmal ganze Familiengeschichten. Deshalb muss man sich auch fragen: Was machen diese Leute, wenn sie nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten können?

Es gibt also selbst ohne Direktzahlungen zu viele Farmer_innen. Das heisst dann wohl, dass Subventionen Hand in Hand mit strengen Regulierungen gehen müssten?
Ja, Subventionen müssten definitiv an sehr strenge Auflagen gebunden sein. Das System in Neuseeland ist allerdings schon so lange ohne Subventionen, dass es Support von ausländischen Banken und Investor_innen gab, der Direktzahlungen mehr als ersetzte.

Was war deren Interesse?
Geld! Sie haben festgestellt, dass insbesondere mit einer Landwirtschaft, die auf Export ausgerichtet ist, viel Geld zu verdienen ist. Neuseeland wird mitunter als Kornkammer von China bezeichnet. China kann sich mit seiner Landwirtschaft nicht selbst versorgen und hat deshalb in Neuseeland grosse Investitionen getätigt, um zum Beispiel die Versorgung mit Milchpulver sicherzustellen.

Hat sich dadurch auch die Art der landwirtschaftlichen Betriebe verändert?
Dazu muss man sagen: Im Vergleich zur Schweiz waren die Betriebe in Neuseeland schon immer sehr gross. Zuletzt sind aber viele supergrosse Betriebe entstanden, an denen oft ausländische Investor_innen beteiligt sind. Insgesamt gibt es die ganze Bandbreite. Von denjenigen, die ihren Beruf lieben und sich nichts Anderes vorstellen können, bis zu jenen, die in erster Linie möglichst viel Geld verdienen wollen –  das sind dann vor allem die grösseren Kooperationen.

Kann man in einer globalisierten Welt davon ausgehen, dass Southland mit seinen Problemen stellvertretend steht für viele andere Gegenden weltweit?
Teilweise schon, auch wenn die Rahmenbedingungen in Neuseeland wie gesagt speziell sind. Tatsächlich sind aber viele grosse Landwirtschaftsländer in erster Linie auf Export ausgerichtet. Sie alle haben das grundlegende Problem, dass sie lokal produzieren, dann aber exportieren. Das bedeutet auch, dass die Umweltkosten lokal bezahlt werden, obwohl sie ein globales Problem sind. Was ebenfalls ein länderübergreifendes Problem ist, das zum Beispiel auch in der Schweiz ausgeprägt ist: Die Distanz zwischen Produzierenden und Konsumierenden wird immer grösser. Stadt und Land leben sich auseinander, der landwirtschaftliche Produktionsprozess wird von einem Teil der Gesellschaft nicht mehr verstanden.

Wie sehr unterscheidet sich die Situation in der Schweiz von derjenigen in Southland?
In Sachen Subventionen präsentiert sich die Lage natürlich ganz anders. Da kann man in der Schweiz überspitzt gesagt schon fast von einer Planwirtschaft sprechen. Mit den Direktzahlungen kann relativ genau gesteuert werden, was produziert wird und wie produziert wird. Das fehlt in Southland komplett. Zudem wird in der Schweiz in erster Linie für den inländischen Markt produziert. Kommt hinzu, dass die Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz ausserhalb des Systems leben können, wenn sie das wollen. Sie können ihre Produkte zum Beispiel direkt ab Hof vermarkten. In Southland ist so etwas nicht möglich, das Gebiet ist viel zu wenig dicht besiedelt, als dass genügend Leute am Hof vorbeikommen würden. Vergleichbar ist hingegen das steigende Bewusstsein für die Umweltprobleme, das zeigt sich etwa anhand der Trinkwasserinitiative. Auch in der Schweiz ist es deshalb wichtig, dass Produzierende, Konsumierende und Politik gemeinsam nach Lösungen suchen, damit nicht ein „Blame Game“ entsteht, in dem jeder dem anderen versucht die Schuld in die Schuhe zu schieben.

 

Zur Person:
Anna Geiser hat an der Universität Freiburg in diesem Jahr ihr Masterstudium in Humangeografie mit Schwerpunkt „Nature, Society and Politics“ beendet. Seither arbeitet sie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen als Wissenschaftliche Assistentin in der Forschungsgruppe „Geography of Food“.

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Author

Matthias Fasel ist Gesellschaftswissenschaftler, Sportredaktor bei den «Freiburger Nachrichten» und freischaffender Journalist.

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