Der grosse, offenbare Tag

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Der Polizeiamtmann der Stadt und seine Helfer schienen sich über irgendetwas, was bislang strittig gewesen war, einig geworden zu sein und öffneten eben die große Pforte, die sich für alle, die durch sie eingingen, in der Regel erst nach zwei Wochen wieder auftun würde, als der Polizeidiener einigen wenigen unentwegten Zuschauern, die sich auch von dem Regen nicht hatten abschrecken lassen, erzählte: Gott solle einen bewahren, es sei ein Elend sondergleichen, Menschen auf solchen Fahrzeugen das stürmische Herbstmeer überqueren zu sehen, nicht viel habe gefehlt, und man hätte die Frauen und Kinder - ja, übrigens auch nicht so wenige Männer! - wie Heringe aus der Tonne aus ihren Booten schaufeln können, der Krieg sei verflucht, der seine Opfer um alles und jedes brächte, und auf die murmelnd eingeflochtene Frage eines Mitleidigen, woher denn die Ankömm-[73]linge stammten - mit einem so hilflosen Achselzucken, als wäre die Weltkarte ihm zu groß für seinen mit weniger zufrieden gewordenen Sinn, erwiderte: Das sollte nur einer herausfinden bei der Sprache, die sie sprächen und die nicht Finnisch und nicht Russisch sei - er aber glaube, ihr Land liege irgendwo hinter dem Ladogasee, jenseits der russischen Grenze.

Damit waren seine Kenntnisse erschöpft, und gleich seinen Zuhörern und gleich uns allen sah er dem dunkeln Trupp nach, der sich in den großen Hof zwischen dem offenen Viereck der barackenähnlichen Holzhäuser entfernte. Das Treten und Trappeln der vielen Schritte war das einzige Geräusch, das aus der Schar aufstieg. In diesen Augenblicken hätte uns aufgehen müssen, daß diese Schar sich von allen jenen, die bisher durch die große Pforte in das Lager eingezogen waren, auf eine schwer zu beschreibende, geheimnisvolle Art und Weise unterschied. Wie gefahrvoll und anstrengend auch die Überfahrt gewesen sein mochte, hatte die eigentümlich gesammelte Stille, mit der diese vielen Menschen angelangt, die Ruhe ihrer Anstalten, als sie ausgestiegen waren und einander ihre Bündel zugereicht hatten, nicht die Vorstellung aufkommen lassen, daß hier erschöpfte, todmüde, von der Fremde verängstigte Menschen keines Wortes mehr fähig waren. Und als die Schar sich jetzt vor dem Eingang eines der bis eben unbewohnten Häuser staute, etliche Beamte vorausgingen und - während die angeschaltete Beleuchtung nun aus allen Fenstern auf den Hof hinaus schien, über bloße Köpfe und Pelzmützen der Männer, die hellen und dunkeln Kopftücher der Frauen und die Kapuzen der kleinsten Kinder, die sie auf dem Arme trugen - einen nach dem andern auf der kleinen Vorhaustreppe aus dem Dunkel in den hellen Innenraum an sich vorbeigehen ließen, da gemahnten Sammlung und Eintreten nicht an eine zufällig zusammengewürfelte Schar von Flüchtlingen, die ein Obdach gesucht und hier gefunden hatten, sondern als wäre ein ganzes Dorf auf der Wanderschaft, als beträte eine Gemeinde ihren festlich erleuchteten Tempel. Die Unterschiedslosigkeit der Menge hatte eine verklärte, ja beinahe geheiligte Hoheit erhalten.

Ein Gefühl davon war es wohl auch, was etliche Zuschauer bewog, den Hof zu überqueren und bei den Neuankömmlingen hineinzusehen. Die ersten, die das taten, kamen noch zurecht, um Zeuge zu werden, wie einer aus der Schar, ein bärtiger Mann in äl-[74]teren Jahren, angetan mit schwarzen Hosen, die in hohen, geteerten Stiefeln steckten, einer hoch aufschließenden schwarzen Joppe und mit - was das eigentümlichste war und ihn äußerlich allein von den anderen unterschied - langem, bis in den Nacken fallendem Haupthaar abgesondert von der Menge inmitten des ersten Raumes mit seinen Schlafstellen und seinem langen Tisch stand, in alle vier Winde ein Kreuz schlug und mit klarer Stimme in psalmodierendem Ton ausrief: Ehre und Dank sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste, in alle Ewigkeit! Worauf die Schar der Männer und Frauen, das große Kreuz der Rechtgläubigen über Kopf und Brust zeichnend und sich wie vor einem unsichtbaren Altar verneigend, mit einem halb gesungenen, halb gesprochenen: In alle Ewigkeit, Amen! einfiel, bevor sie diesen Raum und die folgenden für die kurze Rast auf ihrer Wanderschaft, die ihnen zu bemessen sein mochte, in Besitz nahm.

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