Der grosse, offenbare Tag

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20

Ja, es war nicht anders möglich: wenn wir von Pitirim sprachen, mussten wir auch von der Kirche sprechen. Und nun erhielt ich einige Erklärungen, die Makari mir bisweilen stockend und scheinbar mit dem Absuchen des Eisfeldes beschäftigt gab. Ich versuchte, nur nach all dem zu fragen, was für die Möglichkeit, daß Pitirim alle diese Tage und Nächte lebend überstanden hatte, wichtig sein konnte. Hatte er einen Pelz angehabt, als er..., ja, als er... sich, ohne daß jemand von uns darum wusste, in der Kirche aufhielt?

Nein. Sie hatten am Nachmittag gezecht und auf ein gutes Ge-[107]lingen getrunken, und mit den Querhölzern, Schrauben, dem Bohrer und anderem kleinem Gerät hatte er sich später auf den Weg gemacht, um eine günstige Gelegenheit abzupassen und sich auf dem winzigen Chor zu verstecken, von dem aus man auch in den Turm gelangte.

Mit Querhölzern und Schrauben...?

Ja, die Pflöcke im Schlüsselloch hatten ja nichts genützt, und da er sich in den Kopf gesetzt hatte, daß die Kirche nicht mehr geöffnet werden sollte, hatte er sich ausgedacht, sie von innen her mit quer über die Pforten geschraubten Hölzern bei allen Eingängen zu verschließen. Er hatte vierzöllige Schrauben mitgenommen. Das habe sicher eine ganze Weile gedauert, und dann habe er sich vielleicht hingelegt und seinen Rausch ausgeschlafen, denn tüchtig getrunken habe er gehabt. Und dann war er also der Gefangene seiner eigenen Untat geworden und hatte im letzten Augenblick nicht den Mut oder Geistesgegenwart genug gehabt, vom Turm herunterzuspringen... Alles das war so unglaublich, daß ich unwillkürlich aufsprang.

Barmherziger, sei ihm gnädig! sprach ich. Du hast durch den Mund deines Dieners gesagt, daß du geduldig bist und von großer Güte, daß du nicht immer hadern noch ewiglich Zorn halten willst, daß du nicht nach unseren Sünden mit uns handeln und uns nicht nach unserer Missetat vergelten willst. Lehre ihn fürchten, Herr, wie du gesagt hast, dann ist deine Gnade nicht ferne, und erbarme dich dieses Kindes, wie du dich aller erbarmst, die dich fürchten!

Und als ich das gesprochen hatte, gewahrte ich zum ersten Male, daß Makari, der stumm auf seiner Bank gesessen hatte, das Kreuz über sich schlug. Dann schien er es eilig damit zu haben, daß wir wieder aufbrachen. Vielleicht, dachte ich im Stillen, hat Gott eine Seele zum Leben erweckt, als er eine andere Heim befahl.

Unsere Glieder waren steif geworden vom Dasitzen, obwohl wir die Pelze angezogen hatten. Uns beiden begannen die Schenkel zu schmerzen von dem gleitenden, immer sichernden Schritt auf den schlüpfrigen Schollen. Der Himmel war von einem dünnen, weißlichen Gespinst bedeckt, in dem die Sonne wie das weißeste aller weißen Flaumknäuel erschien. Aber das Wetter hielt sich. Wir bogen weiter nach Norden zu ab und stiegen immer häufiger auf die Bank unserer Boote, aber wir sahen nichts, was unsere Aufmerksamkeit erregt hätte. Am Mittag hielten [108] wir eine längere Rast und erwogen noch einmal, wie die vermutliche Trift der Schollen gewesen sein könnte. Und wir wussten uns keinen besseren Rat, als weiterzugehen, uns aber nicht zu trennen. Nach der Mittagsrast legten wir unseren Weg wieder mehr nach Norden.

Vielleicht ist sie zu den heiligen Vätern nach Walaam geschwommen, die Kirche, meinte Makari einmal.

Dort sind keine heiligen Väter und Mönche mehr, belehrte ich ihn. Die sind seit dem Winterkrieg weg gezogen. Was wird dort schon sein! Ein Grenzwachtkommando vielleicht, und nicht einmal das. Der ganze See gehört ja nun zu unserer Seite.

Ja, meinte Makari, und das klang bedauernd.

Ich fühlte die lange, zögernde Dämmerung des Frühlings hereinbrechen, aber ich sagte nichts, und vielleicht ging es Makari ebenso. Wir schoben unsere Boote, wir ruderten, wir stakten. Ich gewahrte schwere Schatten der Müdigkeit um Makaris Augen. In der Wende zum Abend, als er wieder einmal auf die Bank gestiegen war, schrie er mit einem Mal laut auf.

Ich zuckte zusammen und kletterte torkelnd in mein Boot und stieg auf die Bank. Etwas Schwarzes, das kein Baum und kein Wurzelstock war! Ja, es schien sich zu regen! Wir sprachen kein Wort, wir sprangen aus den Booten, begannen in der Richtung darauf zu zu schieben. Schneller, immer schneller, keuchend, schweißüberströmt, ohne Unterlass, als gälte es jede Minute. Und dann sahen wir, was es war: das erste Lebewesen seit unserem Aufbruch, ja, ein Hirsch, der aufs Eis hinausgeraten war, vielleicht um bei einer Wake zu trinken, wie es die Tiere taten, und der mit dem Eis abgetrieben war, ohne zurück zu können. Erschöpft, im Verenden, mit vereistem Fell, das blutig war nach einem Sturz oder nachdem er einmal am Eis festgefroren war, als er gelegen hatte. Bei unserem Nahen hob das entkräftete Tier noch einmal das Haupt mit dem stolzen Geweih und stöhnte dumpf und versuchte, sich aufzurichten. Aber das vermochte es nicht mehr. Einer seiner Vorderläufe schien gebrochen zu sein. So lag es da, nur noch lebendig in seinem Kopf, in dem das ganze verlöschende Leben sich gesammelt zu haben schien. Wir betrachteten es, und ich nickte: ja..., als ich Makari an seinem Messer nesteln sah, um den Qualen ein Ende zu machen.

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