Der grosse, offenbare Tag

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ICH WEISS NICHT, wie es zuging, aber wir haben ihn herausgezogen, als er da, das Gesicht schon unter Wasser, in jener Wake hing. Jawohl, er hing. Das Messgewand der freudenreichen Auferstehungs- und Pfingstzeit hielt ihn schwimmend. Die Luft darunter wölbte den brokatdurchwirkten, steifen Stoff zu einem Buckel auf seinem Rücken, und daran hing er noch in dieser Welt, als sein Leben schon beinahe entflohen war.

Was haben wir nicht alles mit ihm getan! Zuerst legten wir ihn einfach wie einen Toten in eins der Boote und schoben ihn darin, so schnell wir nur vermochten, auf eine größere Scholle, die uns ganz sicher schien. Dann behandelten wir ihn wie einen Ertrunkenen, und er gab auch viel Wasser von sich. Wir zogen ihn aus bis auf die Haut; was wir nicht schnell genug abstreifen konnten, schnitten wir mit dem Messer weg. Wir rieben seine Haut mit Schnee. Wir trockneten ihn, daß wir meinten, gleich müsste die Haut sich wie Rinde abschälen. Wir bewegten seine Arme und Beine, wir rissen die Ruderbank aus einem der Boote, legten das mit unseren wärmsten Pelzen aus, kleideten ihn von neuem mit unseren Sachen an und betteten ihn, bei den Schultern und Beinen zupackend, ins Boot hinein. Da lag er nun - leblos oder wie leblos, und wir, zu beiden Seiten kauernd, hatten ihn zwischen uns wie in einer Wiege. Aber dieses Kind schien zum Todesschlaf in die Wiege gelegt.

[114] Mit einem Mal kam mir ein Gedanke. Ich ergriff seine Hand unter dem Pelz und suchte nach dem Pulsschlag. Ich konnte ihn nicht fühlen. Ich entblößte mühevoll seine Brust, die wir eben erst mit allen wärmenden Kleidern, die wir besaßen, bedeckt hatten; Makari neigte das Boot auf meine Seite, ich beugte mich hinunter und legte das Ohr auf sein Herz... Ja, irgend etwas klopfte, aber ich wusste schon nicht mehr, ob es mein eigenes wild pochendes Herz war oder Pitirims. Nein, lachen Sie mich aus, aber ein Mensch weiß in der nächsten Nähe des Lebens oder des Todes nicht mehr, wo der Schlag seines eigenen Herzens endet und wo ein anderes Herz zu schlagen anfängt. Ich wurde nicht klug daraus. Und so machten wir uns auf den Heimweg. - Aber wie viel bedeutete das von dort aus, wo wir standen!

Ich zögerte, ich zauderte umzukehren, wie ich einst gezaudert hatte, aufzubrechen, ich stand da und betrachtete auf eine Steinwurfweite immer wieder, was einmal unsere Kirche gewesen war: im Ganzen geweiht und im Einzelnen doch so vergänglich. Und als hätte diese Kirche auf ihren Diener gewartet, geschah in jenen Minuten etwas, was keiner von uns beiden zu fassen vermochte. Vor unseren Augen begann der wirre Haufen der Trümmer mit einem Male wieder zu leben. Die Bretter fingen an, sich zu verschieben, von den Balken steilten einige sich empor, die Bilder richteten sich auf und stürzten - all dieses lautlos, wie uns schien. Es stäubte ein wenig, und dann waren der Trümmer mit einem Male weniger geworden, und das Häuflein sank, wie von einer unsichtbaren Hand eingeebnet, zusammen.

Ich hatte nur Tränen und setzte mich, schwach geworden, auf mein Boot.

Wie lange ich so dasaß, weiß ich nicht. Makari war es, der mich weckte. Er kam zu mir und hielt mir, über beide Hände gelegt, das rote Messgewand der freudenreichen Zeit hin, da der Tod überwunden ist, der Triumph des Auferstandenen verkündigt und der Geist der Liebe und der Wahrheit ausgegossen. Das Gewand war schwer von Wasser und dunkel geworden. Aber wie Sonne und Wind es trocknen und wieder hell wie Herzblut glühen lassen würden, so, wusste ich, würde auch meine Trauer besänftigt werden, und ich konnte dem Geist vertrauen, der des Menschen Mund fröhlich macht und der ihn wieder jung werden lässt wie einen Adler. Nehmen Sie das, Vater? fragte Makari.

[115] Und ich stand auf und nahm das Gewand der Freude und der gewissen Zuversicht.

Alsdann traten wir den Heimweg an.

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