Der grosse, offenbare Tag

zurück

26

WIE IM TRIUMPHZUG brachten sie uns Pitirim, das ganze Dorf. Wir saßen noch so, wie wir uns hatten niederfallen lassen am Tisch. In Tagen und Nächten hatten unsere Augen sich ausgestarrt an der Wüste des leeren Eises - jetzt, da wir wieder in unserer vertrauten Umgebung waren und bekannte Gestalten und Gesichter sich um uns drängten, sahen wir die nur wie Schemen. Wir wollten etwas trinken, aber wir vermochten nichts in unseren Händen zu halten, ja, nicht einmal die Hand zu öffnen, die für alle Zeiten in jenem krampfhaften Griff um das Boot erstarrt zu sein schien, den sie so viele Stunden ununterbrochen gefasst hatte. Und wie arbeitsgewohnt unsere Hände auch gewesen waren - jetzt erst sahen wir, daß sie zu unförmigen Klumpen aufgeschwollen und mit wässrigen Blasen bedeckt waren. Abgestorben, fremd, ohne Gefühl des Zusammenhanges mit uns lagen sie da auf dem Tisch. Unser Haus besaß eine Küche und zwei Kammern. In eine der Kammern trugen sie Pitirim, zogen ihn aus, betteten ihn warm. Aber dessen hätte es gar nicht bedurft. Er selber war wie ein glühender Ofen. Seine Lippen waren ihm von der Glut des Fiebers verdorrt, und die Augen hielt er fortwährend geschlossen, als lebte er wie eingekerkert in dem Dunkel hinter geschlossenen Lidern. Etliche von dem vertraute-[118]ren Umgang meines Weibes waren mit hineingekommen und halfen ihr bei dem Kranken, während draußen noch viel Volk versammelt war und miteinander sprach und die Kinder sich vor den Fenstern drängten. Wir saßen derweil in glücklicher Vergessenheit.

Erst als der Kranke versorgt war, kamen die Frauen zu uns und halfen uns dabei, uns der Stiefel zu entledigen, die keiner von uns mit eigenen Händen je hätte von den Füßen bekommen können. Und bei den ersten Schritten auf Strümpfen taumelten wir wie Trunkene und mussten uns an den Wänden entlang tasten zur Kammer. Doch keiner von uns dachte an Schlafen. Als wir uns gereinigt und die Kleider gewechselt hatten, saßen wir stumm da und lauschten auf die Rede, die das ganze Haus erfüllte, heftiger bald und bald ersterbend, in einem Gurgeln und Röcheln ganz und gar unverständlich. Was aber Pitirim nun sprach, machte alles andere vergessen, was er früher in seinem Leben gesagt hatte. Und als mein Weib mir versprochen, ihn wie einen Sohn aufzunehmen, hatte sie nicht mehr versprochen als sie jetzt Stunde um Stunde in geduldiger Fürsorge und liebender Pflege auch hielt.

Wir aßen, wir tranken. Wir saßen da am Tisch mit aufgestützten Armen, vielleicht schliefen wir auch mitunter ein. Aber wir warteten. Am Nachmittag wurde der Kranke unruhiger, während zugleich sein Bewusstsein wiederzukehren schien. Mein Weib bat mich endlich, nach ihm zu sehen. Makari und ich gingen hinüber in die Kammer. Die Frauen blieben bei der Tür. Und wie ich Pitirim nun dort liegen sah, mit dem von Schweiß gedunkelten roten Haar, das mich sogleich wieder an das von Wasser schwere und dunkelrote Messgewand denken ließ, mit dem bleichen, spitz und raubvogelhaft gewordenen Gesicht, in dem nur etliche große, rote Fieberflecken glühten, wie Male nach dem Schlag einer Hand, die keiner von uns je gesehen hat, mit Händen, die sich bald zur Faust schlossen und bald öffneten, aber nun nicht mehr die Luft hämmerten, sondern rastlos an der Decke nestelten, unter der er lag, als wäre sie ihm zu schwer, als wollte er sich von ihr befreien - da erschien er mir so fremd und weit entfernt, daß ich wusste: der würde nie mehr zurückkehren. Das Beängstigende für alle war, wie er atmete. Von Zeit zu Zeit fiel der Kiefer wie bei einem Leblosen hinunter, und ein scharfes Pfeifen aus seiner Brust war bis an die Tür vernehmlich. Seine [119] Ellenbogen bohrten sich in das Lager, die Hände, die sich im Krampf ballten, richteten sich langsam in die Höhe, und der ganze Oberkörper steilte sich auf und spannte sich in einer Brücke von äußerster Anstrengung, die nur auf seinen spitzen Schultern ruhte, während sein Gesicht sich zugleich bis ins Unkenntliche verzerrte.

weiter