Der grosse, offenbare Tag

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Das Frohlocken der heiligen Wälder aber erstarb in der jaulenden Bahn der Geschosse, die vom Ladogasee und von den dort kreuzenden Kanonenbooten her und von den Batterien und Granatwerfern hinter den Fronten diesseits und jenseits des Flusses einschlugen.

Tagelang, wochenlang hatten wir Zeit, von unserer Deckung am Waldrand aus das Dorf jenseits des Flusses zu betrachten und nach der Karte und unserer Phantasie darin umher zu spazieren. Nur in einem führte die Karte uns irre: die Kirche, die auf ihr dicht neben dem Flusslauf eingezeichnet war, fehlte. Wie sehr wir uns auch anstrengten, eins von den kleinen, grauen, schindelgedeckten Häusern mit dieser Würde zu begaben - keins wollte uns dazu recht passend erscheinen. Nun aber hatte Vater Tichon heute noch gesagt, er sei ihr Priester gewesen... Hatte es sie damals doch gegeben, oder hatten die Truppen, die sich im Dorfe eingenistet, das verachtete Heim der verfolgten Religion schon zerstört, als wir unseren Ausguck am anderen Ufer bezogen? Nur hatten wir auch keine Ruine gewahren können, und unsere Artillerie hatte diesen Abschnitt, in dem sich kaum menschliches Leben zeigte, noch nicht mit ihren Geschossen belegt.

Die Umstände fügten es so, daß ich in den darauf folgenden Tagen häufig mit Vater Tichon, dem Flößer, zusammentraf, da ich als Dolmetscher zwischen ihm und zwei Beamten dienen musste, [81] denen der Priester die Bitte unterbreitete, daß die ganze Gemeinde womöglich ungeteilt irgendwo zu Waldarbeit und Landarbeit angesiedelt werden möge. Nach einer jener Unterredungen geschah es, daß ich ihm erzählte, ich kenne sein heimatliches Dorf recht wohl, und daß wir vergeblich die Kirche gesucht, die uns die Karte versprochen habe.

Nein, die stand damals nicht mehr, sagte er, und als er das sagte, fiel mir auf, wie kindlich hoch seine sonst so entschlossen klingende Stimme sprechen konnte, und daß meine Bemerkung schwere Erinnerungen geweckt haben mochte. Der Blick aus seinen hellen Augen war so, als blickte er irgendetwas nach, was sich immer weiter entfernte...

Ich fragte ihn, ob sie in den Jahren der Verfolgung zerstört oder anderen Zwecken nutzbar gemacht worden wäre, wie das häufig geschehen war.

O nein! fiel er mir ins Wort.

Ich wollte nicht in ihn drängen und fragte nicht weiter, und für diese unsere Begegnung beließ er es bei der Auskunft, die Kirche hätte es erst seit dem Pfingstfest jenes Jahres, in dem Tuulos von uns erobert worden sei, nicht mehr gegeben. Zu Christi Himmelfahrt und am Vorabend der Pfingsten habe sie noch gestanden, fügte er nachdenklich hinzu. Dann aber, und er sah mich lächelnd an, sei der Geist gekommen, und "Wunder seien geschehen oben im Himmel und Zeichen unten auf der Erde", wie geschrieben stehe, ehe denn "Blut und Feuer und Rauchdampf" gekommen seien - mit uns.

Ich meinte, darin einen Vorwurf zu hören, daß wir gekommen seien und die Wunder und Zeichen gestört hätten, aber weil das so wenig mein freier Wille gewesen war wie der meiner Kameraden, zuckte ich nur die Achseln.

Ich las die düster wahrschauenden Worte des Apostels, die er zu den Ungläubigen in Jerusalem gesprochen hatte, eine Weile später auf meiner Schlafstelle nach, während um mich herum der ärmliche Alltag in der Lagerenge wimmelte, und die ersten Erinnerungen an die heiligen Wälder und Einöden von Olonez und die in der Sonne badende Stille des Dorfes am Flusse verwandelten sich, als lagerte die Wetterwolke des Letzten Gerichts über allem. Wieder sah ich die träge verharrenden Wände des Rauches von den riesigen Waldbränden, welche das Artilleriefeuer entfacht hatte und hinter denen die Sonne wie ein zorniges, blut-[82]unterlaufenes Auge glühte, hörte noch einmal das wabernde Knistern und Sausen, das der Feuerwalze vorauseilte, und sah das ängstliche Huschen des Getiers unter dem schrillen Ruf, der dem gelähmten Entsetzen vorangeht - jener Stille, jener atemberaubenden Stille, in der sich dann erst der wehrlose Untergang vollzieht. "Blut und Feuer und Rauchdampf" überall, wo wir gewesen waren - und Krähen, die mit der unangefochtenen Emsigkeit von Bedienten unter dem mannshohen Farnkraut zu beiden Seiten des Weges verrichteten, wozu es keine Gefangenen gab... "Blut und Feuer und Rauchdampf" seien mit uns gekommen, sagte ich, als ich den Priester das nächste Mal am gleichen Tage traf, und dennoch stehe-geschrieben, daß "selig werden soll, wer da den Namen des Herrn anruft"!

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