Ida Friederike Görres (1947/1948)

Ida Friederike Görres rezensiert Niggs "Große Heilige" in der Zeitschrift „Die Schweizerin" (1947). Sie nimmt Balthasars Kritik auf und schränkt sie zugleich ein: "Dass Walter Nigg trotz dieses Mangels die katholische Welt mit soviel Ehrfurcht, Gerechtigkeit, Sachlichkeit und historischer Treue zeichnet und deutet, ehrt, über das Werk hinaus, auch die Person des Verfassers und verpflichtet uns zu brüderlicher Dankbarkeit. Wir hoffen von Herzen, dass er seine hagiographischen Bemühungen fortsetzt und uns noch viele Heiligenbilder von gleichem Rang schenkt, zur Freude, Erbauung und geistlichen Unterweisung aller, die den christlichen Namen tragen."[1]

Ida Friederike Görres erkannte in Walter Nigg einen verwandten Geist, und sie war souverän genug, seine Leistung zu würdigen. Die Hagiographin erfasste auch den für Nigg typischen Stil einer Verschränkung von Wissenschaft und Spiritualität. Nigg habe sein ganzes Herz in die Darstellung der Heiligen gelegt. Hier schreibe nicht nur ein Gelehrter, sondern ein frisch Verliebter, dessen Begeisterung gerade den katholischen Leser anstecken könne. "Ja, gerade wir haben es nötig, das Altvertraute einmal so zu sehen, wie es sich dem Blick der ersten Liebe, der überwältigten Begegnung des Herzens frisch und neu offenbart, 'herrlich wie am ersten Tag'."[2] In den folgenden Jahren und Jahrzehnten übten Walter Niggs Bücher und Vorträge tatsächlich die hier beschriebene Wirkung auf das katholische Publikum aus. Gerade weil er die Heiligen aus einer neuen Perspektive betrachtete, machte er ihre allzu vertraut scheinenden Lebensläufe wieder zugänglich. "Nigg aber 'entdeckte' sie wie Kolumbus Amerika, als hätte sie noch keiner vorher gesehen, und er spricht mit einer flammenden Liebe und Begeisterung von ihnen, die manche Formel und Schablone wie Sturmwind hinwegfegt und das 'alte Wahre' beglückend bloßlegt - auch für uns."[3] Mit einer zweiten, umfangreichen Besprechung in den "Frankfurter Heften" (3/1948) machte Ida Friederike Görres das Buch in Deutschland bekannt. In der ausführlichen Besprechung ist auch Raum für eine Einordnung von "Große Heilige" in den Kontext moderner hagiographischer Versuche. So werden in einer Anmerkung die Namen Ignaz Klug, Ernst Hello, Hugo Ball, Reinhold Schneider und "meine eigenen Arbeiten"[4] genannt. Die Verfasserin gesteht offen den "Neid"[5] gegenüber Niggs Darstellung, um dann doch ihre Wahrnehmung der Begrenzung seines Ansatzes herauszustellen: Die katholische Kirche allein sei und bleibe "Gebärerin der Heiligen"[6].

Wie schon Hans Urs von Balthasar so nimmt auch Ida Friederike Görres die Voraussetzungen des reformierten Theologen Walter Nigg und sein Anliegen einer modernen Hagiographie auf dem Hintergrund der gemeinsamen Tradition im weiteren Sinne der Katholizität wahr. Das wird besonders deutlich an der Stellungnahme zu Gerhard Tersteegen, den Nigg als evangelischen Heiligen programmatisch hervorhebt. Ida Friederike Görres integriert das Werk des reformierten Theologen und mystischen Dichters dankbar in die Catholica. "Was ist nun eigentlich 'protestantisch' an diesem Mann?"[7], fragt sie und gibt sogleich die Antwort: "Gerade in dem wunderbaren Bild, das Nigg von ihm zeichnet, tritt uns Tersteegen als ein echter, nur äußerlich getrennter Sohn der Kirche entgegen, ein wundervoll tröstliches Zeugnis für die innerste Blutsverwandtschaft aller wahrhaft aus der Taufe und dem Heiligen Geist Lebenden."[8]

 


[1] Ida Friederike Görres. Besprechung von „Große Heilige". In: Die Schweizerin 34/1947. S. 257-258. S. 258.

[2] Ibid., S. 256.

[3] Ibid., S. 256.

[4] Ida Friederike Görres. Der Heilige in der Kirche. Besprechung von „Große Heilige". In: Frankfurter Hefte 3/1948. S. 424-437. S.431. Von den genannten Hagiographen war vor allen Dingen Ernst Hello für die Entwicklungs von Niggs Hagiographie wichtig.

[5] Ibid., S. 424.

[6] Ibid., S. 432: „Diese Catholica ist wahrlich nicht erst in Trient in Erscheinung getreten. Zu ihrer, der Platzhalterin Gottes in der Schöpfung, wesentlichen Aufgabe gehört es auch, Mutter, das heißt nicht nur Erzieherin, sondern Gebärerin der Heiligen zu sein."

[7] Ibid., S. 434.

[8] Ibid., S. 436.