Joseph Kaufmann (1956)

Walter Niggs Bücher wurden auch in Klöstern stark rezipiert. 1956 versuchte der Zisterzienser Joseph Kaufmann eine erste umfassende kritische Würdigung. Er stellte auch das Auswahlprinzip der hagiographischen Portraits heraus: Für Walter Nigg waren alle großen Heiligen und Ordensgründer Mystiker. Kaufmann versteht Nigg als religiösen Schriftsteller mit dem Ziel einer schauenden Durchdringung und intuitiven Erfassung der Heiligen. Nigg sei "ein ganz innerlicher Mensch"[1], allerdings mit einer "«Liebe und Neigung zum Abseitigen"[2] und einem überkonfessionellen Standpunkt. "Gemeinsam mit Overbeck hat Nigg einen glühenden Freiheitsdrang, der ihm über alles geht, wie dieser ist er ausgesprochener Individualist. Beide sehen in der Dogmatik eine Vergewaltigung."[3] Nigg besaß ein Exemplar der Arbeit von Kaufmann und hat sich diese Aussage zustimmend mit Bleistift angestrichen. Nicht von ihm markiert ist die zentrale These des Ordensmannes: "Nigg ist mystischer Individualist, aber ohne Anerkennung einer kirchlichen Bindung göttlichen Rechts."[4] Dagegen folge er der Idee einer unsichtbaren Kirche.

Kaufmanns Arbeit markiert den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk Walter Niggs. Zu Recht hebt er die Bedeutung der Mystik für Niggs Hagiographie hervor und seinen überkonfessionellen Blick. Er sieht auch den Stellenwert von Niggs Habilitation über Franz Overbeck für die Entwicklung seines Bildes von den heiligen Ordensgründern. Kaufmann beschreibt Nigg als Einzelgänger. Nigg lebe wie ein Klausner, sei ungern Pfarrer und habe keinen Kontakt zu den Bauern der Umgebung. Damit erliegt er Gerüchten über Niggs Person, die sich mit seiner zunehmenden Berühmtheit ausbreiten. Die zahlreichen Fehleinschätzungen von Niggs Person zeigen besonders eindrücklich die Notwendigkeit einer Erhebung von zuverlässigen biographischen Fakten.

 


[1] Frater Joseph Kaufmann. Walter Nigg - Versuch einer Kritik und Würdigung. Unveröffentlichtes Typoskript (Nachlass ZB Zürich) von 85 Seiten. 1956. S. 65.

[2] Ibid., S. 59.

[3] Ibid., S. 5.

[4] Ibid., S. 60.