Kleine Geschichte des Faches

Name und Charakter des Studienfaches, das sich mit der Vielgestaltigkeit der christlichen Glaubensgemeinschaften befassen, unterscheiden sich nach der Grundhaltung, die darin zum Ausdruck kommt und die sich im Laufe der Geschichte gewandelt hat:

  1. Abgrenzung: Beharren auf der eigenen Identität ohne Interesse am Anderen.
  2. Polemik: Versuche, die Anderen vom Eigenen zu überzeugen ohne Bereitschaft, auch selbst etwas zu lernen: Andersdenkende gelten als dumm oder böswillig.
  3. Komparatistik: Interesse, Andere kennenzulernen in einer Art Neugier oder beschreibenden Objektivität; Vorurteile werden abgebaut, Wissen wird vertieft, das Eigene kommt mit in den Blick.
  4. Selbstkritische Rückfrage: Was wird aus mir in dieser Begegnung? Wie antworte ich auf die Anfragen, die vom Anderen ausgehen? Bereitschaft, sich verändern zu lassen.
  5. Dialog: „Dialog“ kann aus Ausdrucksform der Haltungen 1. bis 4. auftreten, kann aber auch diese Haltungen überbieten, wenn er als Suche nach der verbindlichen, Gemeinschaft stiftenden Wahrheit geführt wird. In diesem Falle verstehen sich die Dialogpartner als Zeugen und Zeuginnen Jesu Christi in der Bereitschaft, auch im Anderen das Wirken des Heiligen Geistes zu erkennen. Dieser Dialog trägt die Züge der richtig verstandenen „Mission“, weil er in der Berufung und Sendung der jeweiligen kirchlichen Gemeinschaft gründet.

Wenn Sie vor 300 bis 500 Jahren studiert hätten, hätte man Ihnen polemische Werke in die Hand gegeben, egal von welcher Seite. Ziel ist der Nachweis, dass kirchentrennende Differenzen in der kirchlichen Lehre und Praxis vorliegen, so dass nur in der eigenen kirchlichen Gemeinschaft das Heil zugänglich ist. Man spricht von "Kontroverstheologie".

Im 19. Jahrhundert hätte Ihre Vorlesung vermutlich "Symbolik" geheißen. Sie hätten die „Christliche Symbolik oder historisch-kritische und dogmatisch-komparative Darstellung des katholischen, lutherischen, reformierten und socianischen Lehrbegriffs“ von Philipp K. Marheineke von 1810/13 gelesen oder die „Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften“ des Johann Adam Möhler von 1832. Hier wird ein neuer Akzent gesetzt: Symbolon ist die Bezeichnung des Glaubensbekenntnisses und meinte zunächst die in der Liturgie verwendeten Bekenntnisformulierungen. In der "Symbolik" werden durch reformatorische Theologen theologische Auslegungen der Glaubensbekenntnisse in die kirchliche Identität einbezogen, etwa die Augsburger Konfession (1530), deren Apologie (1531) und die Schmalkaldischen Artikel (1537). Damit taucht die Frage auf, ob bestimmte theologische Auslegungen des Glaubensbekenntnisses zur Einheit der Kirche nötig sind. Bsp.: Rechtfertigungslehre.

Noch ein wenig später hätte man Ihnen eine "Konfessionskunde" in die Hand gegeben: das „Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde“, 1890 von Ferdinand Kattenbusch herausgegeben, oder von katholischer Seite die Konfessionskunde von Konrad Algermissen (1. Auflage 1924). Nun hatte man gemerkt, dass ein Vergleich der Bekenntnisformeln nicht mehr ausreicht. Die ganze geschichtliche Gestalt einer „Konfession“, ihre Geschichte, ihre Sitten, ihre Kirchenordnung kommt in den Blick. Eine wissenschaftlich objektivierende Haltung stellt sich ein. Polemik soll vermieden werden, man will auch nicht mehr nur auf die Streitigkeiten in Glaubensfragen eingehen. Es besteht die Tendenz, die Konfessionen als eine Art Kirchenparteien zu verstehen und sie eher soziologisch zu betrachten.

Der Schritt zum echten Dialog wird von katholischer Seite im Kontext des II. Vatikanischen Konzils vollzogen. 1962 legt der evangelische Theologe Peter Meinhold eine "Ökumenische Kirchenkunde"vor. Ausgangspunkt und Ziel der theologischen Arbeit wandeln sich: Die "Theologie der Ökumene"versteht sich als Dienst an der sichtbaren Einheit des Leibes Christi und geht von den Gemeinsamkeiten des Glaubens aus, nicht mehr vom Trennenden. Die "Theologie der Ökumene" ist in dieser Perspektive ein Teilgebiet der systematischen Theologie und reflektiert theologisch die Voraussetzungen, Prinzipien und Ziele der Ökumene. Sie stellt zugleich eine Dimension aller theologischen Disziplinen dar.

Vgl. Artikel "Konfessionskunde", in: Theologische Realenzyklopädie, Band 19 (1990), 431-436.
Artikel „Kontroverstheologie“ und „Ökumenische Theologie“, in: LThK, 3. Auflage, Band 6 (1997) und Band 9 (1998).