Publikationsdatum 24.08.2023

Freiburger Studie stellt Evolutionsregel in Frage


Nach der Cope'schen Regel sind heutige Tierarten im Durchschnitt grösser als ältere Arten derselben Gattung. Eine gross angelegte Studie unter der Leitung einer Forscherin der Universität Freiburg hat nun gezeigt, dass dies bei Schildkröten nicht der Fall ist.

Paläontolog_innen haben festgestellt, dass einige Arten im Laufe ihrer Evolution dazu neigen, immer grösser zu werden. Ein Beispiel ist das Hyracotherium, ein Vorfahre des Pferdes, der vor etwa 50 Millionen Jahren lebte. Mit einer Schulterhöhe von nur 20 cm war es deutlich kleiner als die heutigen Pferde. Diese Tendenz zur Vergrösserung entlang der Entwicklungslinien wird als Cope-Regel bezeichnet. Doch diese Regel findet offenbar keine Anwendung bei Schildkröten, wie eine umfangreiche Studie zeigt, die von Bruna M. Farina und ihrem Team am Departement für Biologie der Universität Freiburg geleitet und in der Fachzeitschrift Ecology and Evolution veröffentlicht wurde.

Umfassendste Studie ihrer Art
Schildkröten bieten ein ideales Feld zur Untersuchung von Grössenentwicklung. Mit über 357 lebenden Arten gibt es zahlreiche Linien, die untersucht werden können, um Evolutionsprozesse nachzuvollziehen. Die kleinste lebende Schildkrötenart, Homopus signatus, erreicht gerade mal eine Grösse von 10 cm, während die grösste, Dermochelys coriacea, über 2,20 m gross werden kann. Die Fossilien von Schildkröten sind sogar noch grösser: Der Panzer von Stupendemys geographicus kann über 2,80 m erreichen. Bruna M. Farina erklärt: «Aus diesem Grund erschien es uns unerlässlich, die Vielfalt der Fossilien bei der Erforschung der Schildkröten zu berücksichtigen, was in früheren Studien nur selten geschehen ist.» Insgesamt untersuchte Farina mit Unterstützung von Kolleg_innen aus brasilianischen, us-amerikanischen und deutschen Institutionen 795 Arten, darunter 536 ausgestorbene Arten – ein Korpus, das mehr als doppelt so umfangreich ist wie in früheren Studien. «Es ist sogar die grösste Datenbank, die bis heute erstellt wurde», fügt die Paläontologin der Universität Freiburg hinzu.

Weder kleiner noch grösser - ganz im Gegenteil!
Die umfangreiche Studie kommt zu folgenden Schlüssen:

  • Es gibt keine eindeutige Entwicklungstendenz in Bezug auf die Körpergrösse von Schildkröten, weder in Richtung Vergrösserung noch Verkleinerung.
  • Temperaturänderungen scheinen keinen Einfluss auf die Körpergrösse von Schildkröten zu haben.
  • Der Lebensraum spielt dagegen eine wichtige Rolle: Die Grösse von Süsswasserschildkröten bleibt im Laufe der Zeit konstant, während die Grösse von Meeres- und Landschildkröten stark variiert.

Eine Regel, aber kein universelles Gesetz
«Diese Ergebnisse zeigen, dass die Cope-Regel bei Wirbeltieren nur selten zutrifft, mit Ausnahme einiger Säugetierlinien und der Pterosaurier, einer ausgestorbenen Ordnung fliegender Reptilien», schlussfolgert Bruna M. Farina. Die Studie ermöglicht auch ein besseres Verständnis der speziellen Entwicklung der Schildkröten. Die gesammelten Daten könnten nach der Freiburger Forscherin für zukünftige Analysen dienen, um die Evolutionsgeschichte der Schildkröten weiter zu beleuchten.