Publikationsdatum 14.02.2020

Das Wort des Dekans, Mariano Delgado - FS 2020/I


Homo orans – der betende Mensch

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der Theologischen Fakultät

Im Frühlingssemester 2020 ist die Beschäftigung mit dem Gebet ein Schwerpunkt im Angebot der Fakultät. Am 13. Februar organisiert das Institut für Ökumenische Studien einen Studientag über „Gebet in Gemeinschaft und Gemeinde“. Vom 30. April bis 2. Mai wird sich eine grosse interdisziplinäre Fachtagung des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog mit dem Gebet im Christentum und in anderen Religionen (Judentum, Islam, Zen-Buddhismus) befassen. Und vom 17.-19. Juni werden sich die Studientage des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft mit dem Thema „‘Wachet und betet‘ (Mk 14,38). Spiritualität, Mystik und Gebet in Zeiten politischer Unruhe“ beschäftigen. An diesen Veranstaltungen werden zahlreiche, sachkundige und engagierte Referenten und Referentin aus dem In- und Ausland teilnehmen. Konnte Friedrich Heiler 1918 feststellen, dass das Studium des Gebetes nicht „einen der hauptsächlichen Gegenstände theologischer und religionswissenschaftlicher Forschung“ bildet, so möchten diese Tagungen die Bedeutung des Gebets in Erinnerung rufen. Denn christliche „Theologie“ ist zunächst und vor allem reflektierende „kniende Theologie“ angesichts des Wortes, des Logos, der zu uns herabgestiegen ist, um uns zur Gottesfreundschaft einzuladen.

Zu den Verhaltensregeln der Indianer gehört dieser Rat: „Stehe mit der Sonne auf, um zu beten. Bete allein. Bete oft. Der Grosse Geist wird zuhören, wenn Du nur sprichst.“ Die Gebetserfahrung der Mystikerin Teresa von Ávila konvergiert damit und setzt zugleich eigene Akzente. An ihr, die von manchen Theologen und Prälaten ihrer Zeit immer wieder gemassregelt wurde, weil sie „nur eine Frau“ war, die aber 1969 von Paul VI. zur ersten Kirchenlehrerin der katholischen Kirche erhoben wurde, kann man sehen, was „christliches“ Beten ist: un trato de amistad, d.h. die Pflege der Gottesfreundschaft, die liebevolle Zuwendung zum menschgewordenen Gott im Bewusstsein der Ähnlichkeit und der Differenz zwischen ihm und uns. Mit einfachen, erfrischenden Worten ohne theologischen Überbau beschrieb sie ihre Gebetserfahrung „als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“. Und dabei kommt es nicht darauf an, viel zu denken oder viel zu sprechen, sondern „viel zu lieben“ als Antwort auf die Liebe Gottes – genauso wie es unter Freunden nicht auf die Worte ankommt, sondern auf das Wissen um die Gratuität der jeweiligen Gegenwart. Demjenigen, der mit dieser Art von Gebet noch nicht begonnen hat, den bittet Teresa, „sich ein so grosses Gut doch nicht entgehen zu lassen“.

Für Teresa ist Beten nicht die Ableistung einer Pflicht, um Gott zu gefallen, und auch nicht ein punktuelles Ereignis, das man möglichst oft wiederholen und ausdehnen sollte, sondern ein Beziehungsgeschehen. Dieses lässt sich nicht auf bestimmte Zeiten und Orte beschränken. Es durchdringt vielmehr das ganze Leben. Dieses lässt sich dann nicht in Zeiten des Betens (contemplatio) und des Tuns (actio) aufteilen. Das Gebet als Freundschaft mit Gott kann und muss jeder selbst pflegen: davon können wir uns nicht dispensieren, indem wir andere damit beauftragen.

Ich lade Sie dazu ein, die Gebetstagungen unserer Fakultät als Ermutigung zur Pflege der Gottesfreundschaft bzw. als Weg zur Christusförmigkeit wahrzunehmen, „komme, was da kommen mag“, wie Teresa sagte, d.h.: in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, und auch wissend, dass uns nicht einmal der Tod „von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“ (Röm 8,39), scheiden kann, weil wir „in ihm leben, uns bewegen und sind“ (Apg. 17,28). Das ist der Akzent, den christliche Theologie im interreligiösen Dialog über das Gebet setzen soll: argumentativ, irenisch, aus der eigenen Quelle trinkend – und mit einem offenen Ohr für die Fremdprophetie anderer Religionen.

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Mariano Delgado, Dekan