Description |
Der Romanist Andreas Kablitz hat in einem vielbeachteten Aufsatz aus dem Jahr 2008 einen «Nachruf auf den Erzähler» verfasst und fordert darin die Literaturwissenschaft auf, endlich «Abschied» zu nehmen vom Konzept dieser narratologischen Vermittlungsinstanz. Auf dem Spiel steht mit seiner Forderung aber nicht nur, die Instanz des Erzählers als Pendant zur Instanz des Autors preiszugeben. Auch Typologisierungsversuche der Erzählforschung, die der Vielfalt der Erscheinungsformen und Funktionen von Vermittlungsinstanzen erzählter Welten Rechnung zu tragen versuchen, erscheinen aus dieser Perspektive obsolet. Insbesondere aus einer historischen Perspektive und mit Blick auf verschiedene literarische Epochen stellt sich allerdings die Frage, ob die Theoriebildung von allgemeinen überzeitlich Prämissen ausgehen kann oder ob sie angesichts sich verändernder literarischer Kommunikationssituationen historische Differenzierungen bedenken muss: Können dieselben Analyseverfahren und Beschreibungskategorien für die mündlich überlieferte Heldendichtung des frühen Mittelalters, für den «wiedererzählten» Artusroman des 12. und 13. Jahrhunderts ebenso wie auch für den Roman der Goethezeit, des Poetischen Realismus oder der Moderne in Anschlag gebracht werden? Diesen Fragen stellen wir uns im Seminar, indem wir zum einen verschiedene Theorien zur Kategorie des Erzählers (Kablitz, Haferland, Köppe/Stühring u.a.) diskutieren und zum anderen anhand von Lektüren literarischer Texte unterschiedlicher Epochen und Gattungen den spezifischen interpretatorischen Gewinn sowie die jeweils historische Angemessenheit dieser Theorien auf den Prüfstand stellen werden. Ein besonderes Augenmerk wird den Überlegungen zum «unzuverlässigen Erzähler» (Glauch, Kindt/Köppe, Jacke u.a.) und seinen historischen Ausprägungen in der deutschen Literaturgeschichte gelten. |