Dossier

No future

Zukunftsnarrativen erscheinen derzeit in düsteren Farben. Dabei sind wir dringend auf optimistische Prognosen angewiesen – etwa rund um die Idee, mit Geoengineering das Klima zu retten. Aber wer soll sie liefern?

Es ist ja nicht so, dass der Mensch noch nie Ähnliches geschafft hätte. Er hat riesige Waldflächen abgeholzt, er hat Lagunen geschaffen, er hat weite Sümpfe trockengelegt. Kurz: er hat die Welt umgestaltet, im Kleinen wie auch immer wieder im ganz Grossen. Spätestens seit dem 18. und 19. Jahrhundert betreibt er diese Umgestaltung sehr bewusst – und spätestens seither hält er seine Gestaltungskraft auch gern für etwas «Geniales». Vom französischen Genie Civil kommt man zum Ingenieur, zum ingeniösen, einfallsreichen Menschen also. Der Ingenieur ist der Macher, der konkrete Realisierer, im Gegensatz zu den Denkern aus Natur- und Geisteswissenschaften – Max Frisch hat ihm mit dem Homo Faber ein Denkmal gesetzt.

Menschgemachte Umgestaltung der Welt? Da denkt man heute natürlich an den Klimawandel – und hat ein entsprechend mulmiges Gefühl. Und gleich noch ein wenig mulmiger wird es, wenn von Ingenieursprojekten die Rede ist, die den Klimawandel möglicherweise stoppen oder zumindest verlangsamen könnten: riesige Spiegelflächen, um Sonnenstrahlen direkt ins All zurückzuwerfen, Düngung der Meere, Wolkenimpfungen. Es ist der dissonante Zweiklang des Anthropozäns: Die unbeabsichtigte und die beabsichtigte Veränderung der natürlichen Verhältnisse. Der Mensch vollführt seine Weltumwälzungen entweder als Nebenwirkung, meist ziemlich blind von wirtschaftlichen Zusammenhängen getrieben (zum Beispiel beim Leerholzen ganzer Landstriche, bei der Überfischung der Meere und aktuell beim Verbrauch unmässiger Mengen fossiler Energie) oder bewusst, wenn er direkt in Umweltsysteme eingreift und zum Beispiel Flüsse korrigiert. Neu allerdings ist eine bewusste Korrektur als Reaktion auf ein unbewusstes Aus-dem-Ruder-Laufen. Geoengineering als der gezielte Versuch, die von uns verschuldete Veränderung des Klimas irgendwie noch zum Guten zu wenden: eine buchstäbliche Wiedergutmachung, im globalen Massstab.

Doch dieses Flicken mit technischen Mitteln gefällt uns nicht, Geoengineering hat einen denkbar schlechten Ruf. Aber haben wir denn eine Wahl? Ivo Walliman-Helmer, der an der Uni Freiburg seit kurzem den Lehrstuhl in Environmental Humanities innehat, glaubt nicht wirklich daran. «Wir brauchen beides, um das Klimaproblem in den Griff zu bekommen – Reduktion des CO2-Ausstosses und Geoengineering.» Allerdings findet er auch, dass es fahrlässig wäre, ganz auf eine technische Lösung zu setzen – das ist ja auch eine grosse Angst beim Geoengineering: Vielversprechende Ideen könnten zur Folge haben, dass wir uns gar nicht mehr gezwungen sehen, eine politisch-ökonomische Lösung zur CO2-Reduktion zu finden. «Nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen und auf eine technische Lösung zu hoffen, ist auch eine ethische Entscheidung, allerdings eine riskante», schrieb er unlängst in einem Reflexionsartikel. Wallimann--Helmer arbeitet daran, wie CO2-Einlagerung auf ethisch verantwortbare Weise gelingen könnte. Nicht nur technisch stehen wir da vor riesigen Problemen, auch die konkrete Umsetzung ist eine Knacknuss: Um mit dieser Methode einen spürbaren Effekt zu erzielen, müssten grosse («immense», sagt Wallimann-Helmer) Mengen an Kohlen-dioxid aus der Luft abgeschieden, verflüssigt oder mineralisiert (am besten gleich an dem Ort, wo sie produziert werden) und sicher im Boden eingelagert werden. Kohlendioxid ist zwar kein hochbrisanter Stoff wie chemische Altlasten oder gar Atommüll, aber nichtsdestotrotz kann entweichendes Gas für Menschen und Tiere sehr gefährlich sein, da man in ihm ersticken kann. Ganz zu schweigen von plötzlich entweichenden Grossmengen aufgrund von Lecks.

Man kann es einer lokalen Bevölkerung also nicht übelnehmen, wenn sie nicht so recht erfreut ist über Pläne, in der Nähe eine Lagerstätte zu errichten – da ist die Situation sehr ähnlich wie beim Atommüll. Man kennt das demokratische Hickhack: Eine übergeordnete Stelle sucht den «besten» Lagerort, aber wo auch immer getestet wird – überall nur Widerstand; den Schwarzen Peter in Umweltbelangen will lieber niemand. Ist das für einen Ethiker nicht frustrierend, die zukünftigen Schwierigkeiten schon im Heute vor die Nase gehalten zu bekommen, und die daraus resultierenden politischen Pattsituationen? Ivo Wallimann-Helmer verneint: Die Parallele zur Atommüllend-lagerung sei durchaus hilfreich, man könne da auch einiges lernen. Das A und O, seiner Ansicht nach: Einbezug der Betroffenen. Er erforscht deshalb Formen der partizipativen «Governance», die politische Entscheide nicht einfach als fremdbestimmtes Top-Down wirken lassen.

 

© Chappatte

Und Wallimann-Helmer scheut sich nicht, eine eher unbequeme Wahrheit auszusprechen: Dass man mitunter «unfaire Lösungen» anstreben muss, weil es nun mal keine anderen gibt. Das gilt nicht nur für die mit der Technologie des Geoengineering verbundenen Risiken, sondern auch für die Kosten, die wohl auch ungleich verteilt sein werden: «Es ist zu befürchten, dass benachteiligte Gesellschaftsschichten unfairerweise sowohl durch den Betrieb dieser Lagerstätten als auch im Falle eines Lecks stärker belastet sein werden. Darüber hinaus benötigen einige dieser Technologien viel Wasser und fruchtbaren Boden. Das führt zu Konflikten mit der Nahrungsmittelversorgung.» Das anzuerkennen ist der erste Schritt. Die Benachteiligten nicht einfach im Regen stehen zu lassen der zweite: «Mit durch die Betroffenen legitimierten Entschädigungen kann man es trotzdem schaffen, gangbare Lösungen zu finden.»

Fairness und Gerechtigkeit: zwei ähnliche Begriffe, die man beim Klima besser auseinanderhält. Denn eines ist bei Umweltkrisen immer ähnlich, das hat der Soziologe Harald Welzer unlängst in einer Brandrede im Magazin der Süddeutschen Zeitung festgestellt: Es trifft nicht alle gleichermassen, es gibt immer Verschonte und «Verseckelte», wie das bei uns wohl heissen würde. Welzer nahm die Ökobewegung und vor allem ihre Erzählungen aufs Korn: »Dabei taugen ihre Dystopien so wenig wie ihre Utopien zu irgendetwas. Apokalypsen sind langweilig, wenn sie nie eintreten, und im Übrigen ideologisch, wenn sie den Untergang für alle prophezeien. Denn nicht mal der Ökozid hält einen sozialistischen Tod bereit, den alle Menschen gleich sterben werden – die Armen trifft es auf jeden Fall eher, die Reichen später.» Wenn man nicht gleich an Weltuntergänge glaubt, wird die Sache auch nicht besser: Dann trifft es die Armen eben mit grösserer Härte, und die Reichen kaufen sich von den Folgen des Unheils frei.

Die aktuellen Geschichten taugen nicht so recht, das weiss auch Ivo Wallimann-Helmer. Zum Beispiel, wenn es um eine globale Governance-Struktur ginge, was ja eigentlich die beste Lösung wäre bei einem globalen Umweltproblem wie dem Klima. Die politischen Realitäten sehen derzeit anders aus, und so hält Wallimann-Helmer linke Vordenker, die angesichts globaler Problemlagen gleich alle Grenzen aufheben möchten, denn auch für praxisferne «Illusionisten». Aber die Crux sieht er natürlich auch, besonders, wenn man Geoengineering noch ein wenig grösser denkt. Wenn man nicht bei der CO2-Einlagerung stehen bleibt, sondern wildere Experimente wagt, wie zum Beispiel die weitflächige Düngung der Meere, um das Algenwachstum anzukurbeln, oder gar Eingriffe in die Atmosphäre – die Folgen hat sich vor ein paar Jahren der Hollywoodblockbuster «Geostorm» ausgemalt (keine allzu guten, versteht sich). Um einen Effekt zu erzielen, müssten diese Eingriffe in mehr oder weniger globalem Massstab erfolgen, die Risiken hingegen könnten sich je nach Technologie nach wie vor sehr lokal oder regional manifestieren. Und da hat Ivo Wallimann-Helmer eine klare These: «Umso lokaler die direkten Risiken sind, umso wichtiger ist der Einbezug der direkt betroffenen Bevölkerung.» Aber wie bezieht man arme Fischer in Bangladesh mit ein, wenn man vor der Westküste der USA ein grosses Geoengineering-Experiment plant? Da wartet noch einiges an Arbeit auf uns, das weiss auch Wallimann-Helmer: «Solche Herausforderungen verändern unser Verständnis von politischer Legitimität grundlegend. Wir gehen normalerweise davon aus, dass die Betroffenen diejenigen sind, die als Bürgerinnen und Bürger ein solches technologisches Experiment gutheissen.»

Gutheissen – das hat eine rationale und eine emotionale Ebene. Könnte es sein, dass wir angesichts der Klimakrise auch deshalb scheitern, weil wir keine gemeinsamen Erzählungen, keine Bilder mehr haben für eine Zukunft, die für die gesamte Menschheit eine bessere wird? Nochmal Harald Welzer: «Die Ökobewegung hat es nie geschafft, eine wünschenswerte Zukunft zu bebildern. Ihr Bildhaushalt besteht entweder aus plastiküberschwemmten Meeresoberflächen, verölten Möwen, depressiven Eisbären und räudigen Waldflächen oder aus einer komplett fantasiefreien Rama-Welt, in der friedfertige, bunt angezogene Mittelständlerinnen und Mittelständler im Schatten kreisender Windräder gute Laune haben.» Ein glaubhaftes Zwischendrin wäre also vonnöten, das glaubt auch Nicolas Nova, einer der spannendsten Design-Denker der Schweiz, der an der HEAD in Genf lehrt und mit Kollegen das Near Future Laboratory betreibt: «Die Polarisierung in Utopien und Dystopien ist nicht sehr hilfreich – es wäre viel besser, eine Vielzahl von Möglichkeiten entlang dieses Spektrums zu untersuchen.» Er glaubt, dass dafür alle möglichen Zukunftsdenker zusammenarbeiten sollten, für die Entwicklung «plausibler und realistischer Zukunftsvisionen».

Zukunftsvisionen? Die hatten wir ja durchaus mal, es ist gar noch nicht so lange her, dass sogar die Atomenergie als positives Vehikel funktionierte (soviel zum Stichwort plausibel). Womöglich wurden auch unfaire Lösungen eher geschluckt in Zeiten, die von einem kollektiven Zukunftsglauben getragen waren: Eine neue Bahnlinie zerschneidet die Landschaft? Eine stinkende Kläranlage, flussabwärts? Nicht so schlimm, wenn man daran glaubt, dass das alles Teile eines Puzzles sind, das insgesamt ein besseres Morgen zeichnet.

Wie also neue Narrative finden, die alle miterzählen können? Wären da womöglich die Experten für Zukunftserzählungen in der Pflicht, Science-Fiction-Autoren also? In den letzten Jahren macht eine neue Bewegung von sich reden, die Erzählungen für ein nicht-katastrophales Morgen spinnt. Der sogenannte Solarpunk hat seinen Namen in Anlehnung an das Steampunk-Genre bekommen, das an einer alternativen Geschichtsschreibung bastelt: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Dampfmaschine zum bestimmenden «Antreiber» aller Technik geworden wäre? Wenn auch Computer mit Dampfkraft laufen würden und der Stabmixer und was weiss ich? Solarpunk will etwas Ähnliches, allerdings «ökologisch korrekt» – Visionen für eine solarenergetisch saubere Zukunft. «Stories [that are] more than just fantasy and fabulism; they are articulations of hope», wie es in einem Editorial des Onlinemagazins Verge zum Projekt «Better Worlds» heisst, das positive Science-Fiction-Stories versammelt.

Im schlechteren Fall erinnert das ein wenig an autogenes Training: Jeden Morgen vor den Spiegel stehen und sich zehnmal sagen, dass der Tag sicher ein schöner wird. Kann das denn etwas bringen, sich eine gute Zukunft mal zur Probe auszumalen, ohne die mühsamen Fesseln der Realpolitik? Ja und nein, glaubt Nova: Wir bräuchten diese anderen, positiveren Zukunftsimaginationen, gerade auch, weil die Dystopien zusehends Unausweichlichkeit suggerierten. Aber eben nur, wenn alternative Szenarien auch die nötige Komplexität durchspielen und Spannungen (den Umgang mit sozialen Ungleichheiten zum Beispiel) berücksichtigen. Kunst kann da helfen, sagt Nova: Literatur, Bildende Kunst, Design oder auch Architektur könnten in Gedankenexperimenten Welten simulieren und ethische Fragen behandeln. Insbesondere, wo uns noch die rechten Mittel des öffentlichen Diskurses fehlen.

Es ist auch ein Generationenproblem. Solarpunk spricht eine jüngere Leserschaft an, die an eine Zukunft glauben will, weil sie an eine glauben muss. Genau um diese Generation sollte es auch in der ethischen Reflexion gehen, glaubt Wallimann-Helmer: «Schreitet die Entwicklung von Geoengineering nicht genug schnell voran, dann belasten wir vor allem unsere Nachfahren. Wir verlagern unsere heutigen Probleme unzulässigerweise in die Zukunft. Das ist die Schwierigkeit mit Geoengineering: Wir brauchen es, um unsere Pflichten gegenüber der Zukunft einzuhalten, verursachen damit aber zwangsläufig neue ethische Konflikte.»

Die Lage wird also nicht einfacher werden. Ivo Wallimann-Helmer nennt eine möglichst faire und gerechte Welt ein «hehres Ziel», ist aber überzeugt davon, dass man Verbesserungen herbeiführen kann, «vielleicht auch nur im Kleinen». Es gehe darum, gute Ideen dahin zu tragen, wo sie grössere Wirkung entfalten können. Der Kontakt mit NGOs und Entscheidungsträgern sei deshalb für einen Ethiker wie ihn von grosser Bedeutung, da erst zeige sich, ob seine Forschung theoretische Reflexion bleibe oder ob sie Früchte tragen könne. Und so sind es am Schluss wohl eher die Anekdoten und Randnotizen, die die Welt verändern, und nicht die grandiosen Geschichten. Seien sie nun in düsteren oder schön leuchtenden Farben gemalt.

 

Unser Experte Ivo Wallimann-Helmer hat in Zürich und Berlin Philosophie und Germanistik studiert und ist seit Oktober 2018 Professor für Umweltgeisteswissenschaften an der Universität Freiburg. Er forscht und lehrt zu Gerechtigkeit und Verantwortung im Zusammenhang mit Klima- und Umweltschäden und publiziert regelmässig zu den ethischen Herausforderungen des Klimawandels sowie zu Themen der Generationengerechtigkeit.

ivo.wallimann-helmer@unifr.ch