Dossier

1, 2 oder 3?

Lernen in der Schule ist etwas Ernsthaftes und Leistung wichtig, lautet gemeinhin das Credo. Spielen dient dem Zeitvertreib und steht damit im Gegensatz zu gängigen Unterrichtsvorstellungen. Lernspiele können jedoch viel mehr, als «nur» unterhaltsam sein, wenn sie gut durchdacht und sinnvoll eingesetzt werden.

Lernende hopsen wild zwischen drei Feldern hin und her. Jedes Feld steht für eine mögliche Antwort auf eine gestellte Frage. Niemand möchte sich vorerst festlegen. Die Musik im Hintergrund hört plötzlich auf und alle bleiben sofort auf einem der Felder stehen. Sabine steht ganz alleine auf der Nummer drei und überlegt sich, ob sie sich nicht doch der Mehrheit auf Feld Eins hätte anschliessen sollen. Die korrekte Lösung wird verraten, indem auf der Power-Point-Präsentation eine der drei Antwortoptionen zu leuchten beginnt. Sabine freut sich, dass sie als einzige richtig stand.
Dies ist nicht etwa eine Szene aus dem Kindergarten, sondern aus der fachdidaktischen Ausbildung für angehende Psychologie- und Pädagogiklehrpersonen am Zentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Universität Freiburg (ZELF). Das Erlebte wirft Fragen zur Unterrichtsmethode «Lernspiel» auf: Was mache ich als Lehrperson, wenn Schülerinnen oder Schüler nicht motiviert sind mitzumachen? Kann mit Lernspielen auch eigenständiges Denken gefördert werden oder wird stets nur Wissen abgefragt? Zu welchem Zeitpunkt im Lernprozess können Lernspiele sinnvoll eingesetzt werden? Welche Arten von Lernspielen gibt es? Die angehenden Lehrpersonen erleben Lernspiele als Unterrichtsphänomen aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler und machen sich Gedanken darüber, was man beachten muss, wenn man mit dieser Unterrichtsmethode arbeitet.

Wenn Erwachsene spielen

Das Spielen im Unterricht ist oft mit Vorurteilen behaftet, gerade bei Erwachsenen. Spielen bedeutet Zerstreuung und ist per se nichts Ernsthaftes. Es steht also im Gegensatz zu den Vorstellungen von Lernen als Arbeit und Leistung. Je höher die Schulstufe, desto weniger Raum wird dem Spiel zugestanden. Ein Spiel in der letzten Stunde vor den Ferien geht gerade noch. Ansonsten assoziiert man damit eher «Zeitverlust», «Lückenfüller» und nicht sinnvolles Lernverhalten oder sieht die Gefahr der Ablenkung vom Unterrichtsthema. Spielen als Unterrichtsmethode muss man als Lehrperson also erklären und begründen können.

Motivation im Zentrum

Immer dasselbe zu tun, ist für die meisten Menschen nicht besonders interessant. Dies gilt auch im Unterricht. Natürlich soll primär das Interesse an den Unterrichtsinhalten im Zentrum stehen und Lehrpersonen versuchen deshalb, die Lernenden bei ihren Fragen oder bei Phänomenen des Alltags abzuholen. Studien zeigen jedoch, dass Lernspiele die Motivation für den Unterricht zusätzlich steigern können. Einerseits durch die methodische Abwechslung, ein wichtiges Kriterium guten Unterrichts, aber auch durch den Spielcharakter an sich. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass die Lernenden im Wettbewerb stehen, durch den Spass, den die Spielhandlung hervorruft, oder – wie im obigen Beispiel – durch die damit verbundene Bewegung. Dabei ist Wettbewerb nicht zu vergleichen mit schulischem Leistungsdenken. Im Spiel ist es nicht so schlimm, wenn man verliert. Lernende können angstfrei ausprobieren und üben, auch wenn die Zweckfreiheit, die eigentlich zum Spielen gehören würde, bei Lernspielen nicht gegeben ist. Lernen soll nicht nur zufällig und nebenbei stattfinden. Lehrpersonen überlegen sich sehr genau, weshalb und zu welchem Zeitpunkt im Lernprozess sie ein Lernspiel einsetzen.

 

Ploy, de Frank J. Thibault, 3M, USA, 1970

En 1962, la société américaine d’articles bureautiques 3M lançait une série innovante de jeux haut de gamme pour adultes, initiant une nouvelle mise en valeur du jeu pour adultes qui a fortement influencé un marché européen du jeu de société pratiquement inexistant après la Deuxième Guerre Mondiale. A part les jeux classiques tels que le go, le backgammon ou l’awélé (Oware), des jeux originaux d’auteurs comme Sid Sackson, F.A. Herschler, Frank J. Thibault et Alex Randolph ont marqué la renommée de 3M, dont les thèmes préférés étaient l’économie, la bourse et le marché immobilier. Jusqu’en 1976, différentes versions des jeux 3M ont été éditées: la série la plus connue est la «Bookshelf series» dont les jeux pouvaient être rangés à la verticale comme des livres dans une bibliothèque. Viennent ensuite s’y ajouter, entre autres, les «Sports games» et la série des petits jeux «Gamettes». En 1970 fut édité Ploy de Frank J. Thibault, un jeu de stratégie dans l’espace. Le joueur sur la boîte rappelle, certainement pas par hasard, Spock de la série TV Star Trek. Longue vie et prospérité!

Interessanter Unterrichtseinstieg

Durch Lernspiele lässt sich beispielsweise bewusstmachen, was Lernende von einem Unterrichtsthema schon wissen. Beim beschriebenen Spiel «1, 2 oder 3» sieht die Lehrperson auf einen Blick, wie viele Lernende richtig oder falsch stehen und kann daran anknüpfen. Ein Spiel kann auch ein Phänomen, welches bearbeitet werden soll, sichtbar machen. Beim «Turmbauspiel» müssen mehrere Schülergruppen in begrenzter Zeit ausgerüstet mit Papierstreifen, Lineal und Bleistift sowie einer einzigen Schere einen Turm bauen. Gewonnen hat, wer das höchste und stabilste Gebilde konstruiert. Anschliessend kann in der Klasse ausgewertet werden, wer welche Rollen (z.B. Führungsrolle) eingenommen hat und wie die Gruppe untereinander kommuniziert hat. Das Spiel steht damit am Anfang einer Lernsequenz und liefert die Voraussetzungen für das weitere Lernen zum Thema Gruppenpsychologie.

Mit Lernspielen aufhören

Ein Lernspiel kann auch als Repetition und Visualisierung des Gelernten dienen. Dies kann am Beispiel einer Variante des bekannten Dominospiels aufgezeigt werden. Auf Kärtchen stehen jeweils zwei Begriffe aus dem Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler müssen nun ihre Kärtchen abwechselnd so platzieren, dass einer der beiden Begriffe zu einem Ende der bereits liegenden Kärtchen passt. Diese Zuordnung muss durch die Lernenden jeweils nachvollziehbar begründet werden und die Mitspielenden urteilen über die Korrektheit der Argumentation. Dabei wird auch der Aspekt des kooperativen Lernens eingebracht. Am Ende entsteht so ein Begriffsnetz, das die behandelten Inhalte und mögliche Bezüge zwischen Themen übersichtlich darstellt. Durch das Erklären dieser Bezüge wird zudem das Verständnis der Inhalte verdeutlicht.

Spielend üben

Ein bedeutsames Element im Unterricht ist das Üben. Auch hierzu können Lernspiele sinnvoll eingesetzt werden. Ein bekanntes Modell aus der Kommunikationspsychologie geht davon aus, dass alle Botschaften vier Dinge gleichzeitig ausdrücken: Sachinhalt (worum geht es?), Beziehungsaussage (wer bist du?), Appell (was sollst du tun?) und Selbstkundgabe (wer bin ich?). Damit die Lernenden diese vier Aspekte unterscheiden können, werden ihnen Sätze vorgelesen und eine der vier Seiten genannt, die sie dann in direkter Rede ausformulieren sollen. Jeweils zwei Personen an einem Pult spielen gegeneinander und müssen möglichst schnell nach der Nennung ihrer Pultnummer einen Buzzer drücken, sofern sie die korrekte Aussage kennen. Antwortet zum Beispiel die rechts sitzende Person richtig, wandert ein Magnet an der Tafel (als Ballsymbol) einen Schritt weiter in Richtung Tor des Gegners, also der links sitzenden Lernenden. Mit diesem «Tafelfussball» können die Schülerinnen und Schüler die Theorie auf spielerische Art trainieren und festigen.

Prozess vor Resultat

Es geht beim Spielen jedoch nicht immer nur um das Resultat und ums Gewinnen. Manchmal steht auch der Prozess im Zentrum. Müssen die Lernenden zum Beispiel bei der «Fragekartenjagd» als Spielvorbereitung zehn Fragen aus dem Unterrichtsstoff selber erarbeiten und auf Karten notieren, so wird bereits durch dieses Vorgehen das Gelernte aufgefrischt und repetiert. Das Abjagen der Karten beim gegenseitigen Ziehen und Beantworten ist dann quasi nur noch die Kirsche auf dem Kuchen, auch wenn der- oder diejenige mit den meisten eroberten Karten am Schluss einen kleinen Preis erhält.

Verschiedene Niveaus abdecken

Mit Lernspielen, als «offene Aufgaben», ist es sogar möglich unterschiedliche Voraussetzungen von Lernenden im Sinne der heute geforderten Differenzierung zu beachten. Beim oben beschriebenen Dominospiel positionieren «schwächere» Lernende eher Begriffe, die offensichtlich zusammenpassen, stärkere Schülerinnen und Schüler legen vielleicht auch Begriffe aneinander, die aus verschiedenen Themenfeldern stammen und nur argumentativ oder sogar kreativ miteinander verbunden werden können. Alle Lernenden können so auf ihrem Niveau lernen und voneinander profitieren.

Das Spielen lernen

Wer nun denkt, Spiele funktionieren einfach so, der täuscht sich. Auch Spielen muss man lernen. Einerseits muss den Schülerinnen und Schülern erklärt werden, weshalb ein Spiel gespielt wird, damit sie sich in den Lernprozess einbringen können und wollen. Längst nicht alle spielen gerne. Andererseits sind bei manchen Lernspielen die Regeln kompliziert, so dass das Spiel erst bei mehrmaligem Einsatz Spass macht und funktioniert. Dies ist vergleichbar mit Gesellschaftsspielen. Es kann daher vorteilhaft sein, mit Abwandlungen bekannter Spiele wie Domino oder Tabu zu beginnen. Ist ein Lernspiel jedoch gut durchdacht und wird es im Lernprozess sinnvoll eingesetzt, werden die Lernenden sich lange daran erinnern, positiv auf den Unterricht zurückblicken und die Freude am Lernen behalten – auch für andere Inhalte.

 

Unser Experte Markus Gerteis ist Fachdidaktiker für Psychologie am ZELF der UNIFR, Dozent an der PHFR und Lehrer für Psychologie & Pädagogik am Freiburger Kollegium Heilig Kreuz.
markus.gerteis@unifr.ch